Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schönbuchrauschen

Schönbuchrauschen

Titel: Schönbuchrauschen
Autoren: Dietrich Weichold
Vom Netzwerk:
Irrtum. Dazu hätte ich viel zu viel Schiss. Und so was täte ich im Leben nie.«
    »Im Leben nie«, sagte er vor sich hin. In wessen Leben, war die Frage. Sein Leben oder Flipps Leben, für das er keinen Pfifferling mehr gab? Und er wollte die Bude schließlich auch nicht ausräumen.
    Er hielt den Atem an. Unendlich langsam und sachte ließ er die Sandsteinplatte kippen und griff darunter. Aber als er den Schlüssel in seinen Fingern fühlte, zog er wie erschrocken seine Hand zurück. Er holte ein Paar Latexhandschuhe aus der Brusttasche seines Anoraks und streifte sie sich über. Er ließ die Platte noch einmal kippen, holte sich den Schlüssel und brachte sie wieder in ihre vorherige Position. Dann stand er auf und atmete leise durch.
    Erst als er den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, bemerkte er, wie stark seine Hand zitterte. Er musste mit seiner Linken seine Rechte festhalten, damit er den Schlüssel geräuschlos ins Schloss stecken konnte, und führte mit der einen Hand die andere beim Aufschließen.
    Er atmete erst auf, als er im Wohnzimmer stand. Kurz mussten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Dann tastete er sich in kleinsten Schritten zu den Fenstern hinüber und zog im Zeitlupentempo die Gardinen zu. Nun konnte er den Lichtschein seiner Stablampe durch den Raum schweifen lassen.
    Der Lichtkegel huschte über das Musikregal. Es reichte vom Boden bis zur Decke, nahm eine ganze Wand ein und bot Raum für ein paar tausend CDs, Jazz und Klassik, alles nur vom Besten, auch ein bisschen Popmusik. Flipp musste Tausende in diese Sammlung investiert haben. Als Theo das erste Mal hier gewesen war, hatte er staunend davorgestanden. So viel Musik konnte man doch im Leben nicht hören.
    »Ich habe auch noch längst nicht alles gehört. Aber es ist schön, diese Aufnahmen zur Hand zu haben, wenn man sie hören will. Nur komme ich in letzter Zeit gar nicht mehr dazu. Einfach zu wenig Zeit! Trotzdem ist es schön, sein Geld für so etwas auszugeben«, hatte Flipp gesagt.
    »Und ich bin schon froh, wenn ich mir ab und zu das leisten kann, was ich momentan unbedingt hören möchte«, hatte Theo trocken geantwortet.
    »Ja, ich bin schon in einer beneidenswerten Lage«, schloss Flipp das Thema ab. Er hatte wohl gemerkt, dass seine letzte Bemerkung nicht sehr glücklich gewesen war.
    Theo hatte gestaunt, wie wohlgeordnet die Sammlung war. Flipp war ja schon immer ein ordentlicher Mensch gewesen. Alles musste bei ihm seine systematische Ordnung haben, schon allein, weil er ja nicht alles im Kopf haben konnte, wie er stark übertreibend gesagt hatte.
    »Ich schreibe mir alles auf, aber auch alles«, hatte er erklärt.
    »Das würde mir nichts nützen. Ich würde meine Zettel nur verlieren oder könnte mich nicht daran erinnern, wo ich was aufgeschrieben habe.«
    »Aber das ist doch sehr einfach«, hatte Flipp ihn zu belehren versucht. »Du nimmst dir ein Notizbuch mit einem guten Register, das kannst du an jeder Ecke kaufen, und der Rest ist Gewohnheit. Was du dir merken musst, trägst du ein. Glaub bloß nicht, dass ich meine ganzen Codes und Passwörter im Kopf hätte. Im PC natürlich erst recht nicht, du weißt ja nicht, wer dich da ausspionieren kann. Nein, auf gutem altem Papier, schwarz auf weiß, und du bist auf der sicheren Seite.«
    »Und wenn du dein Papiergedächtnis verlierst?«
    »Das verlier ich nicht. Das kommt mir nicht aus dem Haus.«
    Wo war es also, das Papiergedächtnis? Wie sah es aus? Ehe er nach den Ordnern in dem niederen Regal neben dem Schreibtisch griff, setzte er sich hin und zog die Schublade auf. Voilà: ein dickes rotes Notizbuch mit Register. Er machte Stichproben. Einträge zu Amazon, Ebay, Facebook, Homebanking – alles vollständig. Er lachte vor sich hin. Es war ja alles so leicht, kinderleicht!
    Im schmalen Lichtkegel seiner Stablampe glitzerte Schweiß auf seiner Hand. Jetzt erst merkte er, wie warm es in dem Zimmer war. Er war nass unter den Armen und spürte ein Bächlein sein Rückgrat entlangrinnen. War es nur die Wärme oder auch die Anspannung? Er lockerte seinen Schal und nahm den Fahrradhelm und die Dockermütze ab. Dann griff er nach dem Ordner mit der Aufschrift »Finanzen«.
    Wie sollte er jetzt all diese Dokumente lesen? Dazu hatte er weder die Zeit noch die Nerven. Er schickte den Lichtstrahl auf die Suche und entdeckte unterm Schreibtisch den Drucker, der auf einem Rollwägelchen stand, eines dieser neueren Modelle mit integriertem Scanner und Kopierer. Er zog
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher