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Schönbuchrauschen

Schönbuchrauschen

Titel: Schönbuchrauschen
Autoren: Dietrich Weichold
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stellte er den PC auf den Schreibtisch, schraubte das Gehäuse auf, entfernte die Festplatte, die er in seinem Rucksack verschwinden ließ, und gab dem PC sein vorheriges Aussehen zurück. Er stellte ihn genau in seine alte Position zurück.
    Er rollte das Bündel Kopien zusammen, machte einen Klebstreifen darum – auf diesem Schreibtisch fehlte es wirklich an nichts – und steckte die Rolle unter seinen Anorak. Dann saß er einen Moment still, ehe er nach dem Ordner »Versicherungen« griff. Auch dort wurde er fündig: Es gab einen Durchschlag eines Versicherungsantrags mit Flipps Unterschrift. Jetzt musste er nur noch den Montblanc mit der Goldfeder einstecken, der parallel zur Schreibunterlage lag, wie er lächelnd bemerkte, und war gerüstet.
    In aller Ruhe trat er den Rückzug an. Mit sicherer Hand schloss er die Wohnung ab und legte den Schlüssel unter die Sandsteinplatte zurück. Nur traute er sich nicht, direkt zum Gartentor zurückzugehen, denn er konnte die Fenster der Obergeschosse von seiner Position aus nicht sehen. Wie sollte er wissen, ob nicht jemand oben am Fenster stand, vielleicht eben die Person, die kurz zuvor auf der Toilette gewesen war? Schrittchen für Schrittchen drückte er sich an der Breitseite des Hauses entlang bis zu der Ecke, die dem Zaun am nächsten war. Dort bot ihm eine ausladende Eibe Sichtschutz. Er stieg über den niederen Jägerzaun. Ohne jemandem zu begegnen, gelangte er zu seinem Fahrrad zurück.
    Es war schon gegen halb vier, als er vor seiner Wohnung ankam. Irgendein Nachtwandler im zweiten Stock hatte Licht gemacht. Er hoffte, ihm nicht im Treppenhaus zu begegnen, zog die Schuhe aus und lief, immer gleich zwei Stufen nehmend, fast geräuschlos zu seiner Wohnungstür hinauf. Er keuchte, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Seinen Anorak mit den Kopien und dem Notizbuch warf er auf das Sofa, ließ seine Kleider fallen, wo er gerade stand, und holte sich das Bier aus dem Kühlschrank. Er öffnete die Flasche und trank sie auf einen Zug halb aus. Dann legte er sich ins Bett. Bleierne Müdigkeit überkam ihn. Er konnte gerade noch den Wecker stellen, dann sank er in Tiefschlaf.
    Gegen zehn Uhr rief er bei seiner Dienststelle an.
    »Es geht mir nicht gut. Ich habe mich heute Nacht immer wieder übergeben müssen. Ich weiß nicht, womit ich mir den Magen verdorben habe … Morgen vielleicht auch nicht. Lieber nicht … Ja, dann bis übermorgen. Da bin ich wohl wieder fit.«
    Dann zog er die Bettdecke über die Ohren und schlief aus. Erst am frühen Nachmittag kroch er aus den Federn und machte sich etwas zu essen. Schon während seiner einsamen Mahlzeit begann er mit dem Studium von Flipps Finanzen, indem er jedes Dokument genau durchlas und sich ein paar Notizen machte.
    Den Rest des Tages lag er auf seinem Sofa, hörte Musik, träumte und ruhte aus, was er nach den Anstrengungen des Vortags und der Nacht wirklich verdient zu haben meinte.
    Nur am frühen Abend strengte er sich für eine halbe Stunde richtig an. Er versuchte, sich mit Flipps Montblanc vertraut zu machen, indem er die Unterschrift auf dem Versicherungsantrag immer wieder kopierte: F. Lipp.
F
und
Li
nachzumachen, schien ihm auf den ersten Blick nicht so schwer zu sein. Anders die letzten beiden Buchstaben. Flipp hatte sie so verkümmern lassen, dass man auch
Fliyy
oder
Fligg
hätte lesen können. Und dann musste natürlich der Druck stimmen. Flipp hatte sein
F
mit solcher Energie hingesetzt, dass sich die Feder leicht gespreizt hatte, und bis zum zweiten
p
hatte der Druck immer stetig abgenommen. Das würde noch ein paar Trainingsstunden kosten, aber egal. Er musste es auch nicht heute schon schaffen. Und mit dem beachtlichen Fortschritt, den die ersten hundert Versuche zeigten, konnte er schon zufrieden sein.
    Am nächsten Morgen war er bereits um sechs Uhr auf. Er duschte, wusch seine Haare, rasierte sich sauber und glatt und schlüpfte in seinen einzigen Anzug. Er schlackerte etwas an ihm herum. In letzter Zeit war er etwas mager geworden und hatte den Anzug schon lange nicht mehr getragen, geschweige denn eine Krawatte. Aber heute musste es wohl sein. Mit skeptischem Missfallen betrachtete er die paar Schlipse, die immer noch an der Innenseite der Schranktür hingen. Sie waren völlig aus der Mode gekommen.
    »Furchtbare Lappen«, sagte er vor sich hin.
    Mit denen würde er keine gute Figur machen. Er würde sich unterwegs einen kaufen.
    Noch ehe es ganz hell war, saß er in seinem alten Polo und
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