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Schockstarre

Schockstarre

Titel: Schockstarre
Autoren: F Schmöe
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Übelkeit und schlotternd vor Kälte lief sie durch die Stadt, den Kopf gesenkt. In der Kleberstraße lagen vermodernde Raketenreste im Rinnstein. Katinka fiel ein, dass vor einer Woche Neujahr gewesen war. Was für ein chaotischer Anfang. Die Anfänge sind das Prägendste im Leben, fiel ihr ein. Sie schauderte.
    Stöhnend hielt sie sich den Kopf und querte die Promenade. Der Zentrale Busbahnhof schien in dieser Nacht das Tristeste, was Bamberg zu bieten hatte. Neonlicht, Pfützen, ein paar ausgemergelte Gestalten. Leute, denen die Samstagsparty nicht gut bekommen war.
    Wie ich, dachte Katinka. Ich bin im Club derjenigen, die im Freien pennen.
    Am Schönleinsplatz lehnte sie sich an eine Ampel. Ein Mann mit Berner Sennhund an der Leine starrte sie missmutig an. Sie trabte weiter, bog aber nicht zu ihrer Wohnung in die Herzog-Max-Straße, sondern ging Richtung Kanal. Bei Tag hätte sie sich an dem spitzen, roten Kirchturm orientiert. Jeder Schritt tat ihr weh, aber wenigstens versorgte die Bewegung sie mit ein wenig Wärme. Als sie das orangegestrichene Haus am Ulanenplatz erreichte, zeigte die Kirchturmuhr beinahe halb vier. Jemand kam heraus auf die Vortreppe. Katinka schlüpfte ins Treppenhaus. Nebel driftete durch ihren Kopf. Ihre Zähne schlugen aufeinander, rhythmisch, im Takt einer schnellen Nähmaschine. Sie stieg in den vierten Stock, klingelte an der Wohnungstür, klopfte einige Male, sank dann einfach auf den Boden und kippte nach hinten, als die Tür geöffnet wurde.
    »Katinka?«
    Die drei Silben fraßen sich in ihren Ohren fest.
    »Katinka! Reden Sie mit mir, verdammt noch mal!«
    Katinka blinzelte. Über ihr, turmhoch, stand Hauptkommissar Harduin Uttenreuther, genannt Hardo, in einem Flanellpyjama und Socken. Sein kahler Kopf glänzte im matten Licht des Treppenhauses, seine grauen Augen strahlten sie an wie Suchscheinwerfer. Sie wollte sich aufrichten, rutschte aber in sich zusammen, als hätten ihre Füße und Beine den Kampf aufgegeben. Seine riesigen Hände packten sie bei den Schultern.
    »Na komm.«
    Er half ihr hoch, trug sie hinein und kickte die Tür mit dem Fuß zu.
    Katinka war bisher nur ein einziges Mal bei ihm zu Hause gewesen. Harduin Uttenreuther hatte sie und Tom vor einigen Wochen zu sich zum Essen eingeladen. Doch nun witterte sie Stallgeruch in der kleinen, für einen seit Jahren allein lebenden Mann ungewöhnlich hell und fröhlich eingerichteten Wohnung.
    Hardo bugsierte sie ins Wohnzimmer und setzte sie auf dem Sofa ab. Er legte ihr eine Decke um die Schultern, befühlte ihre Stirn mit dem Handrücken und sah sie fragend an.
    »Ich … wusste nicht, wohin«, sagte Katinka matt. Dankbar stellte sie fest, dass die Übelkeit verschwunden war, doch in ihrem Kopf wurden Pfennigsnägel in Wurzelhölzer getrieben, und sie fror bis in die Knochen.
    Hardo verschwand in der Küche. Sie hörte ihn mit dem Wasserkocher hantieren. Kurz darauf kam er mit einer dampfenden Tasse zurück, stellte sie vor Katinka ab und drehte die Heizkörperthermostate hoch.
    »Ich glaube, Sie brauchen eine heiße Dusche«, sagte er, als er sich neben sie setzte und die Decke zurechtzog.
    »Ich habe nicht gesoffen!«, sagte Katinka schnell. Ihre Zähne klapperten.
    »Ich weiß.«
    Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, obwohl sie es nicht wollte.
    »Was ist passiert?«
    Sie setzte einige Male an, aber es kam nichts.
    »Sie müssen aus den nassen Klamotten raus«, sagte Hardo. »Ich gebe Ihnen was von mir. Da passen Sie dreimal rein, aber besser als nichts.«
    Er hielt ihr die Tasse hin. Kaffee. Gott sei Dank, er wusste, dass sie keinen Tee mochte. Kaffee mit viel Milch. Eine Himmelsgabe.
    Sie trank ein paar Schlucke. Hardo stand auf und verschwand in seinem Schlafzimmer. Trotz der gut geheizten Wohnung schüttelte es Katinka wie im Krampf. Sie sah ihn zurückkommen, einen Stapel Kleider in seinen Händen.
    »Jemand hat mir meine Waffe geklaut.«
    Er warf die Anziehsachen auf das Sofa.
    »Wer! Wann!«
    »Ich weiß es eben nicht.«
    »Sind Sie wahnsinnig? Das ist wichtig!«
    »Heute Nacht«, flüsterte sie gequält.
    Er bezähmte seine Ungeduld.
    »Erzählen Sie es mir«, sagte er, drückte ihr erneut die Kaffeetasse in die eiskalten Hände.
    Sie brauchte fünfzehn Minuten, bis sie halbwegs zusammenhängend von dem Auftrag berichten konnte, den sie am Vortag bekommen hatte.
    »Ines und Henryk Pawlowicz«, murmelte Hardo. »Und weiter?«
    »Ich habe ihn getroffen, gestern Abend, im Rio-Club . Soweit war alles
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