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Schock

Titel: Schock
Autoren: Hunter Evan
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Straße erwartet. Sam, dachte er. Zusammen mit fünfzehn Cents genügt das für die Untergrundbahn. Ein Anfang. Ich heiße …
    In diesem Moment rollte ein Bierlaster vorbei, von der Achtundfünfzigsten Straße in die Fifth Avenue einbiegend; auf dem Seitenbrett stand die Biermarke BUDWEISER, darunter der Werbeslogan: »Wo was los ist, da gibt's Bud«, und er addierte Budweiser und Sam und zog die Summe Sam Budweiser, doch nein, Bud allein war besser; dann hörte er wieder das Dröhnen des Flugzeuges hoch über sich, schaute hinauf, assoziierte Flugzeug mit Schwinge, verband schließlich, worauf Bier und Flugzeug ihn gebracht hatten – Budschwing? Nein, so mußte es sein: Buddwing. Sam Buddwing. Er würde sich daran gewöhnen können. Sam Buddwing. Ich heiße Sam Buddwing, zum Teufel auch. Er hatte einen Namen.

2
    Die Stadt begann zu erwachen.
    Es war Samstagmorgen; sie hatte es nicht eilig, aufzustehen und den Schlaf abzuschütteln. Während Buddwing am Central Park South entlangwanderte, gingen hier und da Jalousien hoch, langsam, zögernd. Es war Samstagmorgen, niemand hatte ein Ziel, niemand hatte Eile. Es war Samstag; die Stadt hob sich, vielleicht durch die Macht der Gewohnheit, ein wenig zu früh aus dem Schlaf, um es dann mit einem ungeheuren Achselzucken, bis tief in ihre Eingeweide spürbar, zu bedauern. Überall auf der breiten Straße zischte Dampf aus den Kanalisationseinstiegen. Ein einsames Taxi verlangsamte die Fahrt, als der Fahrer Buddwing entdeckte, doch es war noch zu früh; noch regte sich die Stadt rastlos in einem warmen Bett; sie roch nach Moschus, nach Alkohol und den Umarmungen von Freitagnacht. Der Taxifahrer gab Gas und fuhr an ihm vorbei; es war noch zu früh.
    Er hörte das Zwitschern der Vögel im Park, ein Geräusch, das man in dieser Stadt nur selten vernahm. Er hörte, wie sie in hundert verschiedenen Stimmen zirpten, hörte, wie ihre Rufe zwischen den Bäumen, die im ersten sanften Frühlingsdrängen zu knospen begannen, widerhallten; sie klangen durch die milde Luft, berührten die leuchtendgelben Forsythien, die wie goldene Sternchen vor der Mauer des Parks standen, trillerten quer durch die roten und violetten Kornelkirschenbüsche, schienen sich in der Luft aufzulösen und zu schwinden; doch dann, plötzlich durch andere Vogelstimmen ergänzt, durch ein anderes schrilles Trillern und Zwitschern verstärkt, multiplizierte sich das Geräusch, bis es schien, als riefen tausend Vögel, eine Million Vögel der Stadt zu, drängten sie, zwängen sie, sich zu erheben.
    In dieser ungeheuren Stadt, die einen Namen hatte und dennoch anonym war, in diesem endlosen New York, das gerade prüfend die Muskeln regte, wanderte er – ein Mann, anonym sich selbst, obwohl er einen Namen hatte. Und in dieser Anonymität (wie herrlich doch die Vögel sangen!) fühlte er eine plötzliche Freude, irgendwie umgeben von der spröden Schale der Sympathie für alle anderen anonymen Halunken, die hier lebten. Er wußte: es war seine Stadt. Was er auch sonst über sich selbst wissen mochte – und er wußte herzlich wenig –, er war sicher, daß er in dieser Stadt geboren war, daß er zu ihr gehörte, daß er ihren Puls wie seinen eigenen Puls fühlte, daß sie auf seine Liebe, seinen Hass unwiderruflich sein Leben lang Anspruch erhob und daß sie ihn nicht aus ihren Fängen lassen würde, solange er atmete.
    Er wußte nicht, wie oft er in seinem Leben am Central Park South entlanggegangen war. Er versuchte, sich an andere Male zu erinnern, ob damals schon Vögel gesungen hatten. Versuchte sich an den Dunst zu erinnern, der sich in der Ferne über dem Dach des Coliseum langsam auflöste. Zwar stellte sich keine Erinnerung ein, doch er wußte mit Sicherheit, daß er Winter, Sommer, Frühling und Herbst diese Straße entlanggegangen war, daß sie zu ihm gehörte wie seine Leber oder sein Herz. Die Stadt rief ihn an diesem Samstagmorgen. Vor dem Spiegel im Plaza hatte er ein neues Gesicht gefunden, einer unbekannten Frau am Telefon einen Vornamen gestohlen, sich dann mit Hilfe einer Biermarke und eines Flugzeuges einen Zunamen verschafft: Sam Buddwing. Und nun ging Sam Buddwing – sauber, neu, irgendwie von Freude und Trauer erfüllt – in eine Stadt hinein, die er liebte und hasste, sauber und neu; er hörte, wie sie ihn rief.
    Tief in ihren Eingeweiden fühlte er von Zeit zu Zeit das Donnern der Untergrundbahnen, die auf unterirdischen Gleisen entlangrollten und in nahezu menschenleere Bahnhöfe
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