Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schock

Titel: Schock
Autoren: Hunter Evan
Vom Netzwerk:
wach.«
    »Wir können miteinander Kaffee trinken. Und reden.«
    »Aber ich ziehe mich an, damit du es weißt. Du kommst nicht her und findest mich im Bett, wenn du dir etwa dergleichen vorstellen solltest.«
    »Ich stelle mir nichts dergleichen vor.«
    »Also …«
    »Bitte, Gloria.«
    »Also gut.«
    »Ich bin sofort da«, sagte er.
    »Von mir aus«, sagte sie und hängte auf.
    Als er den Hörer wieder aufgelegt hatte, war sein erster Gedanke, daß er nun einen Namen besaß, Sam; kein übermäßig schöner Name, aber immerhin ein Name, Sam; dann brach ein zweiter Gedanke in sein Bewußtsein ein: er hatte sie nicht gefragt, wo sie wohnte. Wieder griff er zum Hörer, verlangte die gleiche Nummer und erklärte der Telefonistin nochmals, er sei Gast des Hauses, Zimmer 407; dann wartete er, während das Telefon in Glorias Wohnung wiederum läutete.
    »Hallo?« sagte sie.
    »Gloria?«
    »Was ist denn noch?«
    »Ich habe deine Anschrift vergessen«, sagte er.
    »Was hast du?«
    »Ich habe …«
    »Du hast meine Anschrift vergessen?« Sie hielt einen Moment inne und sagte dann: »Du bist doch betrunken, ja?«
    »Nein. Ich kann mich nur an nichts erinnern. Das habe ich dir doch gesagt.«
    »332 West Achtundneunzigste«, sagte sie. »Du hast meine Anschrift vergessen! Das ist doch wirklich das Letzte.«
    »Ich bin in ein paar Minuten dort.«
    »Wenn du jetzt im Plaza bist, bist du bestimmt nicht in ein paar Minuten hier«, sagte Gloria. »Davon abgesehen, was tust du im Plaza? Tee trinken?«
    »Ja«, sagte er. Dann lächelte er. »Ja, ich trinke Tee mit Adlai Stevenson.«
    »Mit wem?«
    »Stevenson.«
    »Dann bringe ihn möglichst nicht mit«, sagte sie. »Ich habe den Kopf voller Lockenwickler.«
    »Sicher siehst du mit Lockenwicklern entzückend aus«, erwiderte er.
    »Fang nicht mit solchem Unsinn an«, sagte sie.
    »Ich fange mit überhaupt nichts an, Gloria«, versprach er. »332 West Achtundneunzigste, richtig?«
    »Ja, ja. Meine Anschrift vergessen! Vielleicht schreibst du sie dir auf?« Ein sarkastischer Unterton. »Damit du sie nicht noch mal vergisst, ja? Wenn du schon neuerdings alles mögliche vergisst.«
    »Ein guter Gedanke«, sagte er.
    Er zog das schwarze Buch aus der Tasche und schrieb die Adresse – 332 West 98 – unter die Telefonnummer. Dann klappte er das Buch wieder zu und sagte: »Schönen Dank, Gloria.«
    »Sei vorsichtig«, sagte sie sanft. »Und komm mir nicht unter die Untergrundbahn.«
    »Natürlich nicht«, sagte er. »Schönen Dank.«
    Er hängte auf.
    Er schritt die breite Vordertreppe des Hotels hinunter, lächelte, atmete die Luft in tiefen Zügen und dachte, ich habe einen Namen, ich habe eine Frau; er schaute über die Straße, wo der Brunnen müßig und sanft Wasser plätschern ließ, und dachte an andere Brunnen – jenen auf der Piazza Navona in Rom, von Bernini, dessen Männerfiguren sich vor der Monstrosität der Kirchenfassade auf der anderen Seite, von seinem Rivalen Borromini entworfen, die Augen zuhielten. Ich bin in Rom gewesen, dachte er. Wo mag ich noch gewesen sein? Sie hatte wohl das Gefühl, daß ich die Anschrift kennen müßte; daß ich sie vergessen hätte, kam ihr einigermaßen unglaubwürdig vor – 332 West Achtundneunzigste Straße. Bin ich dort schon gewesen?
    Er seufzte, warf einen Blick über die Straße, zum Vordach des Sherry-Netherland-Hotels hinüber, und entdeckte erst jetzt die große Normaluhr auf dem Gehsteig. Wie hatte er sie vorhin übersehen können, als er wissen wollte, wie spät es war? Nun, da er einen Namen hatte, schien die Zeit unwichtig. Er hörte ein Geräusch über sich, schaute zum Himmel auf und sah ein Flugzeug scharf metallisch vor dem Blau der Frühe. Zeit, dachte er, lächelte dann, ging an dem Brunnen vorbei und zögerte einen Augenblick an der Ecke – welche Linie der Untergrundbahn nahm man, um zur Achtundneunzigsten Straße zu kommen?
    Sam, dachte er. Ich heiße Sam. Aber bin ich wirklich der Sam, mit dem sie zu sprechen glaubte? Ihr irrender Sam, der nur anruft, wenn er betrunken ist? Der ihre Adresse so gut kennen müßte wie seinen eigenen Namen, Sam? Vielleicht nicht; wahrscheinlich nicht. Aber in einem anderen Sinne bin ich ihr Sam: sie gab mir den Namen. Jedenfalls steht ihre Nummer in meinem kleinen schwarzen Buch; wer sollte mich also kennen, wenn nicht Gloria? Solange sie mich nicht eines anderen belehrt – ach was, ich bin Sam, ich habe einen Namen und eine Frau, die mich im Haus Nummer 332 West Achtundneunzigste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher