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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Autoren: Georg Lehmacher
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aus, macht ihm Platz.
    Er guckt mich an, sagt aber erst mal nichts. Ich auch nicht. Dann halte ich ihm den Zettel mit dem Versicherungskennzeichen hin.
    »Das hilft uns nicht, aber er hat einen Ausweis dabei, passt schon.« Christian nickt mir zu. »Schau, dass du den Müll da vorn noch ein wenig zusammenräumst. Wir werden den Patienten noch in den RTW umladen und dann fahren.«
    Während ich mit steifgefrorenen Fingern die aufgerissenen Materialverpackungen vom Boden aufsammle, kommt der Lkw-Fahrer und bringt mir einen verbeulten Hut. »Der gehört dem Verletzten«, sagt er. Und dann sagt er noch: »Ich weiß wirklich nicht, wo der hergekommen ist. Plötzlich war er vor mir.«
    »Fehlt Ihnen denn auch etwas?«, frage ich.
    »Nein, nein.«
    »Sollen meine Kollegen Sie später untersuchen?«
    »Nein, nein, mir fehlt nichts. Ist nur der Schreck«, sagt er schon im Gehen.
    Als ich alles aufgesammelt habe, stehen plötzlich zwei Polizisten neben mir, der eine hat einen Schreibblock in der Hand. »Kann man schon was sagen?«, fragt er mich. »Wie sieht es aus?«
    »Ich weiß nicht«, sage ich unsicher. »Ich bin heute den ersten Tag dabei, ich kann gar nichts sagen, aber ich glaube, es sieht nicht gut aus.«
    »Habt ihr denn schon einen Namen?«, hakt er nach. Dann geht er einen Schritt auf mich zu: »Was ist los mit dir? Du bist ja komplett weiß im Gesicht. Geht es dir nicht gut?«
    »Alles okay«, antworte ich und setze schnell nach: »Meine Kollegen haben einen Ausweis gefunden.« Ich deute auf den Krankentransportwagen, der sich zu meiner Überraschung gerade in Bewegung setzt.
    Anscheinend mit Patient. Und ohne mich. Ich rufe den Polizisten ein »’tschuldigung« über die Schulter zu und haste zu dem Notarztwagen. Also muss der mich eben zum Krankenhaus mitnehmen. Aber kurz bevor ich die Beifahrertür erreicht habe, fährt er los.
    Fassungslos stehe ich am Straßenrand dieser Landstraße irgendwo in der Pampa, eine Gegend, in der ich zuvor noch nie gewesen bin.
    »Die haben dich wohl stehen lassen«, ruft der ältere der beiden Polizisten.
    Ich schaue immer noch ein wenig ratlos in die Ferne, wo ich den NAW als kleinen hellen Punkt verschwinden sehe.
    »Können Sie mich in die Klinik mitnehmen?«, frage ich, auf die beiden zugehend. Auch wenn mich die Polizisten duzen, wage ich es nicht, die beiden Uniformierten mit »Du« anzusprechen. »Oder können Sie mich zur Rettungswache in Friedberg bringen?«
    »Im Prinzip geht beides, aber wir brauchen noch eine halbe oder Dreiviertelstunde. Es dauert also noch etwas.«
    Ich zucke mit den Schultern. Habe ich eine Wahl?
    Zu Fuß zur nächsten Bushaltestelle und mit einem öffentlichen Verkehrsmittel bin ich sicher nicht schneller. Während ich am Straßenrand auf die Abfahrt warte, stellt sich ein Passant neben mich. Er erzählt immer wieder von Neuem, wie er den Unfall beobachtet hat. »Ich denk noch, sieht der den Mann denn gar nicht? Ich hab keine Ahnung, wo dieser Lkw-Fahrer mit seinem Kopf und den Augen war. Man muss doch auf die Straße gucken. Muss doch schauen, wo man hinfährt.« Immer mal wieder fährt ein Auto langsam an der Unfallstelle vorbei. Dann lässt mich das Geräusch eines Dieselmotors aufhorchen. Ich drehe mich um, hinter mir hält der Notarztwagen. Ob dem die Polizisten Bescheid gegeben haben? Ich komme nicht dazu nachzufragen, denn der Fahrer hat schon schimpfend das Fenster runtergelassen. Sein Gesicht sieht aus wie ein roter Luftballon kurz vor dem Platzen. »Jetzt steig gefälligst ein. Hinten. Wir haben schon genug Zeit verloren!«, keift er. Bevor ich noch richtig im Auto bin und die Tür schließen kann, tritt er aufs Gas, und wir fahren los. Auch im Auto setzt er seine Schimpftiraden fort. Sein Kollege auf dem Beifahrersitz sieht ungerührt aus dem Fenster. »Stellen die denn jetzt nur noch Idioten ein?« Ich sei ein »Rohrkrepierer« und müsse wohl blind sein oder total bescheuert. »Wenn wir jetzt einen Folgeeinsatz bekommen, verzögert sich wegen dir alles.« Ich stelle irgendwann auf Durchzug. Für den ersten Tag sind das mehr als genug Eindrücke.
    Nachdem wir in der Fahrzeughalle der Klinik geparkt haben, machen sich die beiden »Kollegen« wortlos auf den Weg und verschwinden durch eine große Schiebetür. Ich bin auch ausgestiegen, bleibe aber erst einmal am Auto stehen. Schmelzender Schnee tropft aus den Radkästen. Immer noch habe ich den Hut des Patienten in der Hand. Ich sehe ein paar Plätze weiter »unser« Auto, aber von
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