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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Autoren: Georg Lehmacher
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Frank und Christian keine Spur.
    Eine junge Frau in hellblauer Schwesternkleidung lehnt rauchend an einer Wand. Ich nicke ihr zum Gruß zu. »Hallo«, ruft sie zurück. »Wo bist du her, ich hab dich hier noch nie gesehen?«
    Ich gehe zu ihr und sage, dass ich Zivi bin und heute meinen ersten Tag habe.
    »Willst du?«, fragt sie und hält mir ihre Zigarettenschachtel hin.
    Ich lehne dankend ab, woraufhin sie fragt: »Bist du etwa so einer von diesen Öko-Müsli-Fuzzis?«
    »Nö«, sage ich, »ich rauche eben nur nicht. Hab es einmal versucht, aber mir ist kotzübel geworden.«
    »Du Glücklicher.« Sie erzählt mir, dass sie eine Lernschwester ist, also noch in der Ausbildung. »Und wie wirst du im Rettungsdienst ausgebildet?«, will sie wissen.
    »Ich muss zwei Wochen als dritter Mann mitfahren und habe sechs Wochen Schule«, sage ich.
    »He? … Und dann? Dann schicken die dich raus?« Sie schaut mich ungläubig an.
    »Ja.«
    »Aber du bist dann nur Fahrer , oder?«
    »Nö.«
    »Ja, was denn dann?«
    »Sanitäter. Ich bin hinten beim Patienten.«
    »Im Krankentransport? Oder auch bei Notfällen?«
    »Auch auf dem Rettungswagen, je nach Dienstplan.«
    »Oh Mann! Und ich muss drei Jahre in der Klinik lernen, obwohl ich jederzeit jede Menge Ärzte und Schwestern um mich herum habe und vorher weiß, was für Patienten ich bekomme. Und alles Wichtige entscheidet dann doch nur der Arzt.«
    Ich zucke mit den Schultern. »Ist eben so.«
    Sie bläst den Rauch geräuschvoll nach oben und schüttelt immer wieder den Kopf. »Na, hoffentlich passiert mir nie irgendwas, dass ich einen Rettungswagen benötige.«
    Ich lasse das ohne Widerrede so stehen, schließlich weiß ich noch gar nicht, wie die Ausbildung und alles Weitere tatsächlich ablaufen, und sehe zu, wie sie die Zigarette am Boden austritt, obwohl hier mehrere solcher Eternit-Aschenbecher in Sanduhrenform stehen. Mit einem »Tschüss« geht sie in Richtung Schiebetür, die sich im selben Moment öffnet.
    Christian und Frank kommen mit unserer Trage in die Halle. Sie nicken mir schon von weitem zu, stellen die Trage erst einmal neben den KTW und zünden sich beide eine Zigarette an. »Der gehört dem Patienten«, sage ich und wedele mit dem Hut, während ich auf die beiden zusteuere.
    Christians Blick senkt sich. »Den braucht er jetzt nicht mehr.«
    Stille.
    »Leider.«
    Stille.
    Bis auf das dumpfe Rauschen in meinem Kopf.
    Ich hatte es geahnt, aber es gesagt zu bekommen, das ist etwas ganz anderes.
    Die beiden werfen ihre halb heruntergebrannten Zigaretten in einen der Aschenbecher und laden die Trage ins Auto. Ich lege den Hut auf den Beifahrersitz und helfe Christian, die Trage und das Kissen neu zu beziehen. Frank wechselt die Sauerstoffflasche am Beatmungsgerät. »Nie, nie, nie die Anschlüsse fetten, wenn du das mal machst, verstanden!?«, ruft er mir zu. »Sonst fliegt dir das Zeug um die Ohren.«
    Obwohl er wieder diesen Kasernenton hat, ärgere ich mich diesmal gar nicht.
    Er nimmt den Hut und bringt ihn in die Klinik. »Vielleicht holt ja jemand seine Sachen ab«, sagt er leise.
    Wer dieser Jemand wohl sein wird? Eine ältere Frau? Die Kinder des Mannes? Die Enkelkinder? Sie könnten in meinem Alter sein.
    »Richtung« hat die Stimme am Funk gesagt. Das bedeutet, wir sollen Richtung Wache fahren. »Also kein neuer Einsatz«, erklärt Frank zu mir nach hinten gewandt.
    Ob er auch erleichtert ist?
    Ich beuge mich vor und stecke meinen Kopf, so gut es geht, durch die Luke.
    »Tut mir leid, wegen vorhin«, sage ich. »Dass ich draußen stehen geblieben bin. Der NAW musste extra noch mal zurückkommen.«
    »Was?«, fragt Christian überrascht, der am Steuer sitzt. »Da hätten die Kollegen vom NAW sich aber besser kümmern müssen. Die sehen doch, wenn einer als dritter Mann unterwegs ist. Und du bist doch neu, und nicht die.«
    »Na ja«, sage ich.
    Er geht vom Gas.
    »Haben die sich etwa beschwert?«
    »Schon.«
    »Was genau haben die gesagt?«
    »Na ja …«
    »Also was? Haben die dich blöd angemacht?«
    »Mh, ja, ein wenig vielleicht.« Mir ist mulmig zumute. Ich überschaue die Konsequenzen noch nicht und will keinen Ärger lostreten.
    Christian tritt auf die Bremse, dann nimmt er den Hörer.
    »Leitstelle von 39, wir drehen noch einmal um, wir haben etwas in der Klinik vergessen.«
    Dann schimpft er laut: »Das ist jetzt schon das zweite Mal, jetzt reicht’s. Wer war es? Der kleine Dicke mit dem roten Gesicht oder der Große mit den kurzen
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