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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
Autoren: Georg Lehmacher
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Haaren?«
    »Der – der Kleine.«
    »Ortmann. Diese Kollegensau.« Frank schüttelt den Kopf.
    »Das lassen wir so nicht stehen, das geht nicht. So was muss man gleich regeln.«
    Ich wage nicht zu widersprechen.
    Kurz darauf stehen wir wieder in der Fahrzeughalle.
    Christian und Frank springen geradezu aus dem Wagen und eilen auch schon durch die Schiebetür. Ich bleibe im Auto. Als sich die Tür weit öffnet, sehe ich diesen Ortmann mit seinem Kollegen vor einem Schalter stehen. Obwohl ich nur ihre Rücken im Blick habe, bin ich sicher, dass sie es sind. Dann schließt sich die Schiebetür.
    Ein paar Minuten später geht sie wieder auf, Christian winkt mich zu sich.
    Oh nein … Jeder Schritt fällt mir schwer. Was kommt jetzt?
    Als ich neben Christian und vor diesem Ortmann stehe, fuchtelt der wild mit den Armen in der Luft herum. Dass sein Gesicht noch stärker erröten könnte als vorhin, hätte ich nicht gedacht. Er ist völlig außer Atem: »War doch gar nicht so gemeint. Was hast du denn da verstanden? Das ging doch nicht gegen dich, also wenn das so rüberkam – dann entschuldige. Ich konnte ja auch nicht wissen, dass es dein erster Tag ist.«
    Ich nicke lediglich perplex.
    »Ja, und?« Christian ist noch einen Schritt näher auf Ortmann zugegangen.
    »Entschuldigung«, sagt der leise.
    »Ist das so okay für dich?«, hakt Christian nach.
    »Ja, klar, schon in Ordnung«, sage ich schnell. Mir ist das Ganze unangenehm.
    Zurück in der Wache sitzen wir noch mit den Kollegen, die uns ablösen, in einer Runde zusammen, essen etwas und trinken Kaffee. Dann macht die Frühschicht Feierabend. Als ich in Jeans, Pullover und Winteranorak auf die Straße treten will, ruft mich Christian noch mal kurz zurück.
    »So einen Scheiß wie vorhin, als du aus dem Auto gestiegen bist, ohne dich richtig umzusehen, das kannst du bei uns vergessen. Da kriegst du mit mir so einen Stress, das glaubst du gar nicht. Verstanden?« Er sagt das mit gedämpfter Stimme.
    »Ich dachte, wenn wir da an der Unfallstelle mit Blaulicht einlaufen, überholt uns sicher keiner – die Leute sehen uns doch.«
    »Darüber diskutieren wir nicht.« Jetzt wird er lauter. »Was weiß ich, wo die Leute hinschauen, wenn sie eine Unfallstelle passieren. Der Job ›draußen‹ ist gefährlich genug. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Sani plötzlich Patient wird oder sogar für immer dort bleibt. Wenn du das nicht kapierst, gibt’s Druck, und notfalls bleibst du ›drinnen‹ im Innendienst und kannst für den Rest deiner Zivildienstzeit die Wache putzen, verstanden? Du hast hier achtzehn Monate. Wenn die vorbei sind, dann kannst du machen, was du willst – aber solange du hier bei uns arbeitest, verhältst du dich so, dass du genau so gesund den Dienst beendest, wie du ihn begonnen hast.«
    Er blickt mir fest in die Augen.
    »Damit das klar ist.«
    An diesem Abend telefoniere ich lange mit meiner Freundin Renate. Nur stockend kann ich von dem alten Mann auf der winterlichen Straße erzählen. Ich habe sein Bild immer wieder vor mir. Er war auf dem Weg, vielleicht von zu Hause irgendwohin, und jetzt kehrt er nicht mehr zurück. Obwohl es schon fast Mitternacht ist und ich in nicht mal fünf Stunden wieder aufstehen muss, fällt es mir schwer, das Licht zu löschen. Dann irgendwann falle ich in einen unruhigen Schlaf. Ich träume, dass ich jemandem einen verbeulten Hut bringen muss. Jemandem, den ich aber nirgendwo finden kann. Ich laufe durch ein weiß getünchtes Haus, in dem sich lauter schwarze Gestalten befinden. Ich will in ihre Gesichter gucken, aber sie haben keine. Stumm wenden sie sich von mir ab. Dann schrecke ich hoch. War da nicht ein Martinshorn zu hören? Ich lausche. Aber draußen ist alles still. Als ich die Augen wieder schließe, sehe ich den alten Mann noch einmal vor mir. Diese Farbe des Todes in seinem Gesicht: Sie wird mir im Gedächtnis bleiben.

Ein Lächeln wie aus einer anderen Zeit
    M arc kommt schon noch«, versuche ich Walter, einen älteren Kollegen, zu beruhigen. Es ist bereits Viertel nach fünf an diesem Samstag, die Nachtschicht beginnt in fünfzehn Minuten, aber Walters Ablöse ist noch immer nicht da. Dabei ist es ein ungeschriebenes Gesetz, uns möglichst eine viertel bis halbe Stunde vor Dienstbeginn in der Wache einzufinden, um den Kollegen, die vor einem Dienst haben, ein Ausrücken in den letzten Minuten zu ersparen.
    Ich habe es bisher zum Glück immer pünktlich geschafft, selbst zur Frühschicht.
    »Es
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