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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod
Autoren: Brigitte Aubert
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Ich weiß, dass du sie liebst. Warum, glaubst du, habe ich die Polizei nicht sofort gerufen? Weil du mir nie verziehen hättest, ihr nicht diese Zeit gelassen zu haben. Die Zeit, Frieden zu finden bei dem Wahnsinn dieser ganzen Familie .«
    »Ich muss sie sehen. Bevor die Polizei kommt.« »Sie sind noch dabei, den Unglücksort zu untersuchen, wie es heißt. Beeil dich.«
    Er stand auf. Das Blut in seinem Nacken war getrocknet, eine kalte Kruste, die die Haut spannte. Der angenehme und trügerische Geruch von Holzfeuer. Das Blaulicht des Feuerwehrwagens, das seine Blitze entsandte wie ein Leuchtturm vom Ende der Welt. Das Ende der Welt von vorher, sagte er sich und steuerte auf das Haus zu.
    Alles war still. Hell erleuchtet, kalt und still. Wie in einem Totenzimmer. Ein leises Geräusch im ersten Stock. Er ging die Treppe hinauf, der Magen zusammengekrampft vor Anspannung, der Puls auf 180. Er hatte Angst, sie zu sehen, Angst vor ihrer Stimme, Angst vor der Wahrheit.
    Sie war in ihrem Zimmer, saß auf dem Bett mit der blauen Decke, diesem ewig wolkenlosen Blau. Saß einfach nur da, sah aus dem Fenster auf die Kapelle, die aufhörte zu brennen.
    »Ich habe die Kinder ins Bett gebracht«, sagte sie mit unbeteiligter Stimme.
    »Geht es ihnen gut?«
    »Sicherlich. Warum hast du nicht auf meinen Anruf geantwortet?«
    Fassungslos wiederholte er: »Dein Anruf?«
    »Vorhin. Vorher. Ich habe versucht, dich auf deinem Handy zu erreichen. Damit ihr zum Abendessen bleibt. Ich hatte Lust, dich zu sehen.«
    Automatisch griff er an seinen Gürtel: »Mist, die Batterie ist leer!«, rief er, während die Worte »Lust, dich zu sehen« im Hintergrund hallten, hinter den verkohlten Leichen.
    »Wir führen immer lächerlich triviale Gespräche, nicht wahr?«, murmelte sie sanft.
    Das Leben ist trivial, und wenn ich diesen Anruf bekommen hätte, wäre ich euch in die Kapelle gefolgt und wäre jetzt tot, dachte er relativ ruhig …
    »Und dann bin ich hinausgegangen, um es noch einmal zu versuchen. Deshalb bin ich nicht mit ihnen verbrannt«, fuhr Blanche fort und strich über eine Falte der Tagesdecke. »Das unverschämte Glück der untreuen Frau, nehme ich an.«
    »Blanche, es tut mir Leid .«
    »Was tut dir Leid? Du kannst nichts dafür, niemand kann etwas dafür. Außer mir natürlich. Weil ich es wusste.«
    Er fühlte eine eisige Kälte in sich aufsteigen, die Kälte, von der Dubois gesprochen hatte, eine Kälte, die die Knochen zerschneidet.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Das.«
    Draußen zwei Männer im Blouson im Gespräch mit Gaelle. So wenig Zeit.
    Blanche zuckte die Schultern.
    »Warum, glaubst du, trinke ich? Warum, glaubst du, bin ich so lebensunfähig? Ich weiß es, seit er noch ganz klein war. Es liegt an dem, was er ihm angetan hat .«
    Chib schüttelte den Kopf wie ein störrisches Tier, begierig zu begreifen: »Was angetan? Wem?«
    »Ich habe ihn überrascht, wie er .«
    »Wie er was?«
    »Schläge, Zärtlichkeiten … Wie eine Idiotin fragte ich mich, warum er so ängstlich war … Das alte Schwein war schon ziemlich verkalkt, er hatte eine Abneigung gegen ihn . Ich habe Gott gedankt, als er tot war.«
    Chib verstand plötzlich.
    »Enguerrand?« »Enguerrand Andrieu, Ehrenlegion, der Kinderpeiniger. Wenn er nicht kurz danach gestorben wäre, hätte ich ihn bei der Polizei angezeigt. Ich hatte Jean-Hugues gesagt, ich wolle, dass wir fortgehen. Aber Jean-Hugues …«
    »Jean-Hugues?«, wiederholte Chib.
    »Er war schwach. Und ich, ich war leer. Ich bin immer leer gewesen, weißt du.«
    Er fühlte, wie seine Augen brannten. Weil sie ihn niemals lieben würde. Sie konnte nicht, das war alles.
    »Wie auch immer«, fuhr sie fort, »er ist nie mehr wie vorher gewesen. Es war so, als wäre ein Raubtier im Haus, ein Raubtier, versteckt im Körper eines kleinen Jungen. Manchmal sah ich seinen Blick, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Der leere, starre Blick eines Raubtiers. Dessen war ich mir sicher, als Leon .«
    »Hast du nichts getan? Nichts gesagt?«
    »Doch, ich habe versucht, mich zu überzeugen, dass ich mich täuschte. Dass nicht er es war, der die Katzen und Hunde der Nachbarschaft tötete. Dass hinter seinem freundlichen Lächeln nicht so viel Hass sein konnte. Dass er ein kleiner Junge war wie alle anderen, nur etwas sensibler, aber kein Monster, nicht dieses, dieses . Etwas ohne Seele.«
    »Aber man hätte ihn zu einem Spezialisten bringen müssen!«
    Was für eine idiotische Bemerkung.
    »Wirklich? Dies ist mein
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