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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod
Autoren: Brigitte Aubert
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richtigen Leben, solange man nicht tot ist, geht es weiter. Jetzt steht die Leiter, die dir die Finger verbrennt, im Gras, im grünen, frischen, weichen Gras. Eunice beginnt hinunterzusteigen, sie hat nichts gefragt, sie hat sofort die Holme umfasst und steigt schniefend hinunter. Und dann Gaelle mit den Bewegungen einer sehr alten Dame, sie verfehlt eine Sprosse, schlägt sich den Mund an, Blut quillt aus der aufgesprungenen Lippe, sie scheint es gar nicht zu merken, setzt ihren Weg nach unten fort. Nun du, Chib. Ein letzter Blick hinab in den Glutofen, in dem drei Körper verkohlen.
    Und plötzlich öffnete sich die Tür, wodurch ein Luftzug entstand und die Flammen anheizte. Fassungslos sah Chib eine Gestalt in die Kapelle wanken. Louis-Marie! Wenn er gekommen war, um sie zu retten, dann war nicht er es gewesen, der .
    Während er das dachte, hörte er sich schreien: »Raus! Schnell raus!«, sonderbar, wie die Worte ganz von selbst kamen. Er sah Louis-Marie den Kopf zu ihm heben, sah das Erstaunen in seinen Augen, sah das Blut, das ihm übers Gesicht lief, nein, warum Blut? Und er sah ihn zur Tür zurückweichen, langsam, wie trunken, das Gesicht noch immer ihm zugewandt, traurig und vorwurfsvoll, aber die Flammen hatten bereits beschlossen, ihn mit aller Macht zu lieben, sie umfingen ihn, liebkosten sein Haar, ließen ihn aufheulen, ein erstickter Schrei, den Chib nicht hörte, den er aber in seinen Augen lesen konnte.
    Dann sah er nur noch dichten Rauch, einen Schleier, der sich über den Todeskampf des jungen legte, Hampelmann aus Feuer, der einen höllischen Reigen in der zerstörten Kapelle tanzte.
    Er nahm Annabelle auf den Arm und stieg die Leiter hinunter. Er verfehlte keine Sprosse, legte das Kind ins Gras, umarmte Gaelle und wurde ohnmächtig.

KAPITEL 22
    Er fror, aber die Hand auf seiner Stirn war warm. Er öffnete die Augen. Gaelle beugte sich über ihn. Sie hatte geweint, und ihr Gesicht war mit Blasen übersät. Er streckte die Hand aus, strich ihr über die Wange, setzte sich langsam auf. Er lag im Gras, ein wenig abseits. Der rote Feuerwehrwagen glänzte im Dunkeln, die Kapelle rauchte und glühte rot, wie ein zorniges Ungeheuer aus dem Mittelalter.
    »Blanche und ich haben dich hierher gezogen. Ich hätte nicht gedacht, dass du so schwer bist! Die Feuerwehr hat den Brand gelöscht, sie suchen in den Trümmern. Sie sind tot, Chib. Jean-Hugues, Belle-Mamie, Louis-Marie … und Dubois …«
    Sie schluckte.
    »Er war noch am Leben, er hatte sich das Blumenwasser über den Kopf gegossen und sich unter dem Altar verkrochen. Verbrennungen zu siebzig Prozent. Sie haben ihn in die Klinik gefahren. Aber es besteht kaum Hoffnung, es sei denn, es geschieht ein Wunder.«
    Die Wunderpillen mit Knoblauch, wer weiß?
    Er legte die Hand auf seine Wunde, betrachtete sie, Dunkelrot auf Braun. Er suchte die Trauerweide mit den Augen, sah die Feuerwehrmänner, ihre erschöpften Gesichter. Hörte das Zischen des Wassers auf der Glut.
    »Charles .«
    »Charles auch, ich weiß«, unterbrach ihn Gaelle.
    »Blanche?«
    »Im Haus mit Eunice und Annabelle.«
    »Die Polizei?« »Blanche hat mich gebeten zu warten, bevor wir sie rufen. Sie hat Charles' Körper vom Baum genommen und ins Feuer gezogen! Verstehst du, warum?«
    Er bemühte sich, aber er verstand nichts, er hatte Kopfweh und Durst, schrecklichen Durst.
    »Niemand sollte erfahren, dass er sich erhängt hat! Niemand sollte erfahren, dass er ein Mörder ist!«
    Chib setzte sich auf. Er sah Charles Körper, wie er sich sanft unter den Zweigen drehte. Er sah Louis-Marie, seine grauen erstaunten Augen, hin und her geworfen von den Flammen wie ein Korken aus Fleisch. Zu viele Bilder, schlecht eingestellt, nur Flimmern.
    »Er hat alles mit Benzin übergossen, er hat die Gasflasche in die Luft gehen lassen, die Aicha weggeräumt hätte, wenn man sie nicht mit einem Schlafmittel aus dem Verkehr gezogen hätte, und als er sicher war, dass alle sterben würden, außer seiner geliebten Mutter, hat er sich erhängt!«, fuhr Gaelle fort, deren versengte Locken ihn an der Nase kitzelten.
    Er murmelte: »Die Polizei wird alles durchsuchen.«
    »Ja, aber was sollen sie an den verkohlten Leichen finden? Selbst Elilou ist in Flammen aufgegangen, es gibt keine Indizien mehr, keinen Beweis, kein gar nichts.«
    »Ich muss Blanche sehen.«
    »Glaubst du, sie hat Lust, ein Schwätzchen zu halten?«
    »Gaelle, ich .«
    Sie richtete sich abrupt auf.
    »Ich weiß, halt mich nicht für blöd.
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