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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Autoren: Matthias Wittekindt
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hochgehen lassen. Die Täter werden gerade verhört, und Grenier untersucht frisierte Fahrgestellnummern. Sie sind alle eingespannt. Nur ihn, der doch die Ermittlungen gegen die Autodiebe geleitet hatte, braucht offenbar niemand.
    Die Verwirrung, das Abschweifen, das Beleidigtsein, all das beansprucht seine Zeit. Sechs Minuten gehen verloren.
    Um drei Minuten vor vier entschließt sich Ohayon dann doch zu telefonieren. Während er wählt, hofft er, dass sich die kleine Unstimmigkeit, an die er sich vor dem Gummibaum erinnert hat, als Missverständnis herausstellen wird.
    Das Sekretariat ist noch besetzt, und er bekommt seine Auskunft. Als er aufgelegt hat, fühlt er sich nicht besser. Sein Verdacht ist nicht ausgeräumt worden.
    Aber er ist nicht noch aufgeregter geworden. Im Gegenteil. Er ist jetzt ganz ruhig. Sergeant Ohayon weiß, wo seine Stärke liegt. Er kann jetzt keinen von den anderen gebrauchen. Also sucht er sich die Adresse raus und fährt los.

    Der Verstand führt so sein Eigenleben. Und das tut er auch dann, wenn wir uns einreden, dass wir ja eigentlich nichts anderes sind als unser Verstand. Man sieht etwas, in einem Gespräch wird am Rande etwas gesagt, und irgendwann spielt einem der Verstand dann so einen Streich. Man weiß, dass da was war. Aber da es einem nicht einfällt, bekommt das Geheimnis eine immer größere Bedeutung. Dann fällt es einem wieder ein. Voilà!
    Bei Ohayon hat es über einen Monat gedauert. Als es ihm dann einfiel, war er überrascht und gleichzeitig enttäuscht. Es war nämlich keine große Erkenntnis, die sein Verstand ihm da enthüllt hatte. Es war nur eine Frage, die er hatte stellen wollen. Die er aber nicht gestellt hatte, weil in dem Moment Roland zurückgekommen war. Als Ohayon endlich einfiel, worum es damals ging, machte ihm sein verspieltes Gedächtnis ein Geschenk. Ihm fiel nämlich gleich die ganze Situation ein, mit allen Details.
    Es war passiert, als sie den Lehrer vernommen hatten, der ihnen diesen ungeheuerlichen Aufsatz von Kristina gebracht hatte. Sie hatten ein paar Fragen gestellt, und dann war Roland rausgerufen worden. Er hatte also mit dem Lehrer da rumgesessen, und weil er nicht auf eine Vernehmung eingestelltwar, hatte er erst mal nichts gesagt. Weil die stumme Rumsitzerei ihm dann aber unangenehm war, hatte er schließlich ein Gespräch mit Monsieur Agneau angefangen. Es war darum gegangen, dass der Beruf des Lehrers auch nicht leicht ist. Pierre Agneau hatte ihm erzählt, dass er damals Schwierigkeiten hatte, überhaupt eine Stelle zu bekommen. Sein Referendariat hatte er in Hannover absolviert und dann … Ja, und da war eben diese Unstimmigkeit. Er hatte gesagt, dass er lieber in Hannover geblieben wäre und dann erwähnt, dass das fünf Jahre her war. Danach hatte er von seiner Frau erzählt, und davon, dass sie sich jetzt beide in Fleurville sehr wohlfühlten, und davon, dass es aber doch Schwierigkeiten gegeben hatte mit der neuen Stelle. Ohayon hatte eigentlich nur wissen wollen, was das für Schwierigkeiten waren. Aber da war Roland zurückgekommen. Das war alles gewesen.
    Und diese Kleinigkeit hatte sich einen Monat lang in seinem Kopf versteckt. Vielleicht lag es am Ende nur daran. An seiner verzögerten Erinnerung. Dass er der Sache überhaupt so eine Bedeutung beimaß. Nach dem Anruf in der Schule war die Kleinigkeit etwas bedeutender geworden. Da erst war sein Motor richtig angesprungen. Ohayons Motor, das war nicht die große Aufregung. Es war ein Gefühl der Ruhe.

    Nachdem Sergeant Ohayon sich vorgestellt und gesagt hat, was er will, ist sofort klar, dass er Pech hat.
    »Mein Mann ist zu einer Fortbildung in Nancy. Aber kommen Sie doch rein, vielleicht kann ich Ihnen helfen.« Er folgt Madame Agneau ins Wohnzimmer. Am Tisch sitzt ein sechsjähriges Mädchen und schreibt etwas in ein Heft. »Wir machen gerade Hausaufgaben«, erklärt Madame, und ihre Tochter macht sofort den konstruktiven Vorschlag, das auf später zu verschieben. Ohne eine Antwort ihrer Mutter abzuwarten, verlässt sie zügig den Raum. Ohayon sieht sich im Wohnzimmer um. Alles ist ganz normal. Die Einrichtung gefällt ihm.
    »Wir hatten noch nie Besuch von der Kriminalpolizei. Sie suchen noch immer nach dem Mörder von Geneviève, ja?«
    »Eigentlich ist der Fall abgeschlossen.«
    »Möchten Sie etwas trinken? Einen Cognac?«
    »Gerne.«
    »Dürfen Sie das überhaupt?«
    »Was?«
    »Trinken, wenn Sie im Dienst sind?«
    Ohayon guckt auf die Uhr. »Fünf Uhr. Ist
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