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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Autoren: Matthias Wittekindt
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offiziell schon vorbei, mein Dienst.«
    Ohayon fängt an zu reden. Er merkt sogar, dass er zu viel redet. Aber er kann nichts dagegen machen. Er will reden, er will bleiben. Dass er das so unbedingt will, liegt irgendwie an der Wohnung, vielleicht auch an Madame Agneau. Und er ist eben in diesem Zustand der Ruhe, weiß, dass er sich seinem Gefühl überlassen muss. Den ungeheuer scharfsinnigen Kommissar aus der amerikanischen Serie gibt es nicht mehr. Es hat ihn nie gegeben. Nie jedenfalls, wenn Ohayon wach ist. Und im Moment ist er wach, auch wenn es nicht so aussieht.
    Madame, das ist keine Frage, findet den Besuch eines echten Kommissars, sie hält ihn dafür … Sie findet das viel interessanter, als Schulaufgaben zu machen mit ihrer Tochter. Was ist das für ein Unsinn? Hat Ohayon vergessen, warum er hier ist? Eine Grenzfrage. Im Moment jedenfalls erzählt Sergeant Ohayon von der Schule und wie durcheinander er war, als sie die Lehrer im Gymnasium vernommen haben. Er erzählt ihr sogar, dass er sich geschämt hat. Und Madame Agneau hört ihm zu. Irgendwann ist Ohayon fertig mit seiner Geschichte. Er hört auf zu reden und guckt durch die große Panoramascheibe in den Garten. Seine Eltern hatten auch so ein Haus. Einen Bungalow mit einem großen Wohnzimmer und einer Panoramascheibe, durch die man in den Garten gucken kann. Ohayon erinnert sich, wie er zusammen mit seiner Mutter immer am Glastisch gesessen, Memory gespielt und geredet hat.
    Ohayon blickt Madame Agneau an und lächelt.
    »Was belustigt Sie?«
    »Ich dachte gerade an zu Hause. Meine Eltern hatten auch so ein Haus wie dies hier.«
    Damit fängt ein neues Kapitel an. Madame Agneau erzählt von ihren Eltern, und Ohayon hört zu. Irgendwann allerdings ist er sich nicht mehr ganz sicher, ob es nicht einfach nur ihre Stimme ist, der er lauscht.
    Vielleicht der Garten? Einige Erinnerungen an den Garten seiner Eltern flimmern kurz durch sein Bewusstsein.
    Madame Agneau ist auch in einer komischen Stimmung. Zwei Gläser Cognac hat sie schon getrunken. Dabei wollte sie doch eigentlich mit ihrer Tochter Hausaufgaben machen. Andererseits. Das Hausfrauendasein war nicht ihr Plan gewesen. Schließlich waren ihre Eltern beide Lehrer, hatten beide studiert. Aber bei ihr war nichts davon angekommen. Genetisch. Sie hatte keine allzu guten Noten gehabt, und von Gymnasium konnte keine Rede sein. Immerhin war sie sprachlich begabt, und Deutsch konnte sie, wie die meisten aus dem Grenzgebiet, fließend. Also war sie Sekretärin bei der deutschen Niederlassung einer französischen Firma geworden. Sie sah gut aus und hatte eine Menge Männer zur Auswahl gehabt. Nur: Alle intelligenten Männer waren irgendwann weggeblieben. Bis auf Pierre. Er kam, und das war für sie wohl so etwas wie ein Zeichen gewesen, aus der Nähe von Fleurville.
    »Wir hätten uns also theoretisch auch hier kennenlernen können, dann hätten wir uns den Umweg über Hannover gespart!«
    Madame Agneau lacht. Es ist eine alte Familiengeschichte. Dass sie beide aus Nachbarorten kamen, sich dann aber in Hannover … Sie hat die Geschichte schon oft erzählt.
    »Das ist wirklich ein Zufall, Madame. Das ist fast schon Vorsehung!«
    »Nicht wahr?«
    Sie hatte ihren Pierre also in Hannover kennengelernt. Siehatten schnell geheiratet und nach zwei Jahren eine Tochter bekommen. Sie war plötzlich die Frau eines Lehrers und ihre Eltern ließen sie spüren, dass sie sehr einverstanden waren mit Pierre. Es gab allerdings ein Problem. Pierre war kalt. Vor allem in den ersten Jahren fühlte sie sich oft von ihm ausgeschlossen. Aber irgendwann war das besser geworden. Nach ihrem Umzug nach Fleurville hatte Pierre sich verändert. Zum Guten.
    Das Gespräch hat sich allmählich etwas erschöpft, aber Ohayon will noch immer bleiben.
    Irgendwas Wichtiges … Und was?
    Es liegt nicht an der Frau, es hat etwas mit der Wohnung zu tun … Es dauert verdammt lange, bis Ohayon merkt, dass er sich auch da irrt.
    Er hat es die ganze Zeit gesehen und nicht gesehen. Oh nein! Es hatte nichts mit Madame Agneau zu tun und auch nichts mit der Wohnung, sondern mit dem Garten. Und eigentlich auch nichts mit dem Garten, sondern mit einem kleinen Bauwerk, das im Garten steht.
    Auf dem Dach liegt kein Schnee, was bedeutet, dass das Gewächshaus beheizt wird.
    »Das Gewächshaus. Züchten Sie da Gemüse?«
    »Nein, das gehört meinem Mann. Da drin sind seine Orchideen.«
    Ohayon merkt, dass Dinge mit seinem Körper passieren. Dinge, die
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