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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Autoren: Matthias Wittekindt
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hatten einige seiner Partnerinnen benutzt. Und offenbar ging ein Reiz davon aus.
    Die Aufgaben der Ermittlung werden immer auf ein Team verteilt. Als könnten die Beteiligten das nicht alleine aushalten, diese erregenden Zustände der Jagd. Es scheint sogar so zu sein: Obwohl die Aufklärung eines Mordes doch eigentlich spannend ist, gibt es, selbst bei jungen Ermittlern, einen Drang, der zurück zum Normalen will. Das zeigt sich zum Beispiel darin, wie oft die Wichtigkeit eines ausgeglichenen Privatlebens betont wird. Dass es dabei meist viel langsamer zugeht und oft ohne rechte Zuspitzung, wird akzeptiert. Ohne familiären Rückhalt, das sagt jede Statistik, bestehtin diesem Beruf ganz klar die Gefahr, Alkoholiker zu werden.
    Marie hatte also ein Kind bekommen. Und dann stand auf einmal alles auf dem Kopf. Sie veränderte sich so grundlegend, wie niemand es hätte voraussehen können. Auf einmal verließ die vorher so umtriebige Karrierefrau kaum noch das Haus. Bei fast jeder anderen Frau hätte man gesagt: »Na ja, sie kümmert sich um ihr Kind!« Aber bei Marie hatte sich eindeutig etwas ganz und gar Falsches in Gang gesetzt. Die Art, wie sie mit Sina umging, sie gegen alles abschloss, machte Roland Colbert Angst. Andererseits hatte er keine Erfahrung mit solchen Situationen, denn Sina war ja sein erstes Kind. Über ein Jahr ging das so.
    Er war inzwischen der hoffnungsvollste Sergeant in Fleurville, bereitete sich auf seinen Sprung nach Paris vor. Er galt als zuverlässig und hatte bewiesen, dass er ein Team führen konnte. Es war seine große Zeit.
    Aber dann war etwas passiert mit Marie. Sie fühlte sich krank. Und tatsächlich bekam sie Hautausschläge am ganzen Körper. Es folgte eine Odyssee, die bei normalen Ärzten begann, Ärzten, die nichts fanden, und bei einem »Berater« endete, der endlich den Zusammenhang begriff. Die Ausschläge und Maries Gefühl, durch und durch krank zu sein, hatten etwas mit ihrem Stiefvater zu tun, damit, dass ihr echter Vater sie so früh verlassen hatte. Für sie, so der Befund, war Mutterschaft ohne vorherige Aufarbeitung das Falscheste, was sie hatte tun können. In Europa, das war klar, würde man sie mit Medikamenten vollstopfen oder sie mit unangemessenen Therapien noch tiefer hinabziehen. Mit Therapie allein, so die Lehre des Beraters, der lange in Amerika gewesen war, mit Therapie allein war es hier nicht getan. »Der Mensch ist nicht nur Psyche. Ernährung dient nicht nur der Sättigung.« Der Berater wusste, wovon er sprach, und Marie hatte Geld. Und Angst. Eine gehörige Portion Angst. Und so verließ sie die Familie und ging nach Kalifornien, um sich mit Hilfe einer Ernährungsumstellung, ganzheitlicher Methodik und regelmäßigen Zahlungen in Ordnung zu bringen.In den ersten Jahren schrieb sie noch ein paar Briefe, erklärte, dass sie Fortschritte mache, und bat Roland inständig, ihre Tochter nach Kalifornien zu schicken. Offenbar hatte Marie es in Amerika beruflich inzwischen noch viel weiter gebracht als damals in Frankreich und war wieder im beratenden Gewerbe tätig. Ganzheitliche Heilmethoden sind alles andere als dummes Zeug, und Sinas Mutter ist der beste Beweis dafür. Marie wird in Amerika reich und ausgeglichen, indem sie anderen Menschen hilft. Und zwar in Fragen, die einst ihre eigene Krankheit waren.
    Du willst Sina? Roland Colbert erwies sich auch in dieser Frage als bodenständig. Er dachte nicht im Traum daran, seine Tochter wegzugeben. Und zwar einfach, weil sie zu ihm gehörte und nicht zu ihrer … Er benutzte schreckliche Worte. Es dauerte Jahre, bis er milder wurde und sich vorstellen konnte, dass Marie wirklich gelitten hatte. Er wusste inzwischen aus beruflicher Erfahrung, zu was Menschen sich verleiten ließen, wenn sie Angst hatten. Für Marie wäre es vermutlich besser gewesen, einfach Karriere zu machen und auf ein Kind zu verzichten.
    Sina allein großzuziehen, war natürlich schwierig. Und er hätte es wahrscheinlich auch gar nicht geschafft, wenn seine Mutter ihm nicht geholfen hätte. Es hatte da Szenen gegeben! Er und seine Mutter am Wickeltisch, er und seine Mutter vor dem Regal mit der Babynahrung. Er hatte viel gelernt, und seine Mutter war noch mal jung geworden.
    Es geschah übrigens genau in dieser Zeit an der Wickelkommode, dass Roland seinen ersten Mordfall bekam. Einer Lehrerin war der Hals durchgeschnitten worden. Aber Sina hatte Windpocken, und er konnte tagelang nicht von zu Hause weg. Er und Sergeant Ohayon hatten
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