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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Autoren: Matthias Wittekindt
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Natürlich würde sie das Angebot annehmen! Darauf hatte sie doch zwölf Jahre hingearbeitet! Sie wäre Monsieur Chevrier am liebsten um den Hals gefallen. Im letzten Moment siegte dann aber doch ihre professionelle Seite. Es war ja bis jetzt nur eine Überlegung, und so eine Reaktion wäre da sicher unangemessen gewesen. Obwohl Monsieur Chevrier, so wie sie ihn kannte, einen weiblichen Gefühlsausbruch, vor allem wenn er auf Dankbarkeit beruhte, sicher zu schätzen gewusst hätte.
    Roland Colbert gießt gerade seine Spaghettisoße in die Schüssel, als Sina eine Frage stellt, die ihn freut.
    »Ich hab doch in Barcelona mein eigenes Zimmer, oder? Ich meine, kann ich auch mal später kommen?«
    Dass Sina daran denkt, später ins Hotel zu kommen, ist ein gutes Zeichen. Roland Colbert findet nämlich, dass seine Tochter viel zu sehr auf ihn und Juliet fixiert ist. Die ist immerhin sechzehn! Seiner Meinung nach müsste Sina jetzt, an einem Freitagabend, eigentlich in der Disco sein. Sina müsste überhaupt einiges anders machen. Sie sollte mal zum Friseur! Und warum sie immer in Jeans und langweiligen Turnschuhen rumläuft, versteht er auch nicht so ganz. Aber es sind wohl nicht alle Mädchen gleich. Oder die Zeiten haben sich geändert. Vielleicht stehen die Jungs von heute ja auf Mädchen ohne besonderen Haarschnitt, die in alten Jeans rumlaufen. Möglich ist das. Obwohl er es sich eigentlich nicht vorstellen kann.
    Mord, Vergewaltigung, organisierte Kriminalität, Roland Colbert ist ein ganz normaler Mann. Einer, der gerne in der Küche steht und für seine Frauen kocht. Am Abend, nach den Verbrechen des Tages. Während sie sich über Barcelona unterhalten, über Gaudi, über Kleist, über kleinere Konsumartikel, die noch zu erwerben sind oder gerade erworben wurden, oder über sich selbst, über Fragen, welche die Existenz an sich betreffen, oder Vorgänge, die im Werden sind, deren möglichen Ausgang sie ausloten in einemlängeren Dafür und Dawider. So sollte es immer sein. Roland Colbert braucht das. Das Familiäre.
    Roland möchte noch ein Kind, Juliet steht davor, Karriere zu machen. Und Sina macht sich überhaupt keine Gedanken über Karriere oder Familie. Sie hat einfach nur das Gefühl, sich in einem reißenden Fluss zu befinden, weil gerade so unglaublich viel Wichtiges passiert in ihrem Leben.

    Geneviève Mortier findet auch, dass viel passiert, und sie möchte natürlich auch nicht so sein wie alle anderen. Da geht also ganz schön was um in ihrem Kopf, als sie das Haus ihrer Mutter verlässt. Bevor sie in die Disco kann, muss sie vor allem erst mal mit Kristina reden, ihrer besten Freundin. Es ist einfach irrsinnig viel passiert in letzter Zeit. Geneviève weiß ja, wie das ist, wenn man hundert Sachen gleichzeitig im Kopf hat. Da können einem die merkwürdigsten Sachen zustoßen. Zum Beispiel ist sie neulich gegen einen Lichtmast gelaufen, obwohl sie ihn eigentlich hätte sehen müssen. Weil er unübersehbar mitten auf dem Bürgersteig steht und weil sie seit Jahren jeden Tag an ihm vorbeigeht. Zum Glück sind es vom Haus bis zur Bushaltestelle nur hundert Meter, und so kommt sie heil an, obwohl sie auf nichts achtet. Und weil sie auf nichts achtet, sieht sie natürlich auch nicht, dass auf der anderen Seite der Straße ein Auto steht und dass im Auto ein Mann sitzt.
    Aber selbst wenn sie ihn gesehen hätte. Was hätte sie denn schon gedacht? Vielleicht: Was glotzt du? Findest du mich geil oder was? Und genau das ist nicht der Fall. Der Mann findet sie nicht geil. Nicht im Moment. Er denkt längst an etwas anderes. Er hat eine Vorstellung von Orten, von Fahrstrecken, von Entfernungen ganz allgemein. Er ist nicht geil, er entwirft einen Plan.
    Der Bus ist mal wieder zu spät, und Geneviève friert. Irgendwie sind kurze Röcke idiotisch. Andererseits liebt sie ihren silbernen Rock. Vor allem kommt er gut an! Letztes Mal haben mindestens vier Jungen gesagt, dass sie richtig glitzert,wenn sie tanzt. Wie ein Stern! Und dann, ganz zum Schluss, kam Max und sagte, dass sie richtig glitzert, wenn sie tanzt, und dass er an einen Stern denken musste. Max sagt oder tut nie etwas, was die anderen vor ihm nicht schon gesagt oder getan haben. Das einzig Besondere an ihm ist seine extreme Schüchternheit. Dafür reißt er dann umso mehr die Klappe auf, wenn er mit den Jungs zusammen ist. Typisch! Aber eigentlich will Max was ganz Festes und für immer.
    Leider hat Geneviève was gegen alles Feste und für immer. Im
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