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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Autoren: Matthias Wittekindt
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Gegenteil! Sie hofft, dass nachher im
Chaise Longue
Jungs da sind, die sie noch nicht kennt. Jungs, die besonders sind. Und wo sie schon beim Fantasieren ist, fragt sie sich, ob heute Nacht endlich mal was Extremes passiert. Seit sie nämlich weiß, dass sie diese Wirkung auf männliche Wesen hat, sind ihr einige ziemlich schräge Gedanken gekommen. Zum Beispiel, ob es was bringt, wenn sie mal mit einem älteren Mann zusammen wäre. Einem, der schon zwanzig ist oder einundzwanzig.

    Der Mann im Auto beobachtet sie noch immer. Das ist kein Zufall. Es liegt daran, dass sie erst sechzehn ist. Es liegt auch daran, dass er sich sehr genau vorstellt, was sie anhat, unter ihrem Mantel. Es liegt an seiner Fantasie mehr als an ihr. Seine Fantasie ist sehr stark entwickelt. So gesehen ist auch er aufgeregt. Allerdings wird seine Aufregung immer wieder von einem Gefühl gestört, das ihn verengt und ihm Angst macht. Er weiß nämlich, dass seine Erregung nicht in Ordnung ist. Nicht bei sechzehnjährigen Mädchen. Und dieses Dilemma hatte bereits Auswirkungen auf seine Ehe gehabt.
    Oh Gott ja …!
    Wie schrecklich das früher war! Wenn er mit seiner Frau und seiner Tochter beim Frühstück saß, da war er immer so stumm. So geistesabwesend, hatte seine Frau ihm vorgeworfen und gemeint, er würde sich langweilen mit ihr und seiner Tochter. Inzwischen ist das alles in Ordnung. Seit ersein Leben sauber in zwei Welten geteilt hat, kann er sich wieder normal mit seiner Frau und seiner Tochter unterhalten. Er ist sogar einfühlsam und hat die Gabe, alle zum Lachen zu bringen. Zum Beispiel, indem er alltäglichen Worten eine originelle doppelte Bedeutung gibt. Oder in großen Zusammenhängen auf Nebensächlichkeiten hinweist, die alle verblüffen.
    Er hat sich also im Griff und ist die meiste Zeit ganz normal. Das ist wichtig. Wie hätte er sonst weiter arbeiten können, wo er bei seiner Arbeit so viel mit Mädchen zu tun hat?
    So kann man sagen, dass er eigentlich ein ganz normaler Mensch ist. Man schätzt ihn. Seine Kollegen wissen, dass er schon einigen auf die Sprünge geholfen hat. Gerade auch Mädchen, die ohne ihn nie ihren Abschluss geschafft hätten. Mädchen, die er motiviert hat. Es ist also auch für andere gut, dass er endlich wieder stabil ist. Vor vier Jahren hätten sie ihn fast erwischt. Und nachdem die Hunde ihm schon so nah waren, dass er ihren Atem hören und riechen konnte, wusste er, dass es lebenswichtig für ihn war, sich zu kontrollieren. Am Ende war es ein Gedanke, der ihn erlöste: Wem tut schon weh, was ich denke? Ich darf nur nie wieder aus dem Auto aussteigen.

    Das Kommissariat von Fleurville ist ein dreigeschossiger Betonklotz, und Sergeant Ohayon ist zum Nachtdienst eingeteilt. Genau wie Resnais. Conrey darf meistens nach Hause gehen. Er wohnt nur drei Straßen weiter, und wenn sie ihn brauchen … Conrey kann sich unglaublich schnell anziehen und ist dann in null Komma nichts da. Er vergisst nur manchmal, seinen Reißverschluss zuzumachen. Gut. Sergeant Ohayon: Sergeant Ohayon ist 1 Meter 61 klein. Dick ist er außerdem. Auch sein Gesicht ist dick, und der breite Schnauzbart macht es nicht besser. Ohayon raucht, trinkt gerne Cognac und hat das Pech, dass er riecht. Nicht alle Männer, die rauchen und Schnaps trinken, riechen. Nicht mit achtunddreißig. Ohayon hat es nicht schwer mit denFrauen. Er hat keine. Sie finden ihn abstoßend. Ohayon sieht das aber nicht ein. Ohayon döst gerne. Ohayon schläft gerne. Ohayon hat keinerlei Ehrgeiz. Manche zweifeln an seiner Auffassungsgabe. Deshalb ist er nach fünfzehn Jahren noch immer Sergeant, was einer Degradierung gleichkommt.
    Aber im Moment fühlt Sergeant Ohayon sich eigentlich ganz wohl. Er richtet sich ein, auf seinem Sessel. Es ist nichts los am Abend des 3. November. Minus sechs Grad haben sie im Radio gesagt, vielleicht wird es schneien. Bis vor zehn Minuten hat sich Ohayon mit Resnais über amerikanische Autos unterhalten. Ohayon fährt nämlich einen Achtzylinder Chevrolet Camaro von 1969. 5,7 Liter V8-Motor mit 300 PS. Resnais ist der einzige, der sich noch nie über Ohayons Auto lustig gemacht hat. Inzwischen sitzt Resnais in der Telefonzentrale, und Ohayon hat seine Schlafstellung eingenommen. Ohayon kann sehr gut im Sitzen schlafen. Er rutscht nie weg, weil er von den Armlehnen seines Stuhls gehalten wird.

    Der Mann im Auto hat Glück. Geneviève nimmt den Bus. Wenn die Mädchen zu Fuß gehen, ist es schwierig, ihnen mit dem Auto zu folgen.
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