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Schneemond (German Edition)

Schneemond (German Edition)

Titel: Schneemond (German Edition)
Autoren: Klaus Kohlpaintner
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war er sportlich gewesen und hatte sehr viel auf seine äußere Erscheinung gegeben, sowohl auf seine Körperpflege, als auch auf seine Kleidung. Die letzten Jahre hatten seinen trainierten Körper und vor allem seinen einst analytischen und rationalen Verstand sehr viel Kraft gekostet. Doch konnte man, zumindest was seinePhysis betraf, noch Schemen der vergangenen Agilität erahnen, auf die er so stolz gewesen war. Er pflegte sich auch heute noch, fast so wie früher. Jedoch war dies weniger ein Akt bewussten, zielorientierten Handelns, als vielmehr ein Ritual, um eine vergangene Zeit zu beschwören.
    Er räumte das Chaos, das er verursacht hatte, auf, zog sich an und machte das Bett. Auch was seine Kleidung betraf hatte sich seine Welt geändert. Hatte er früher Anzüge und elegant-legere Sachen getragen, oder, wenn es die Situation erforderte, robuste Qualitätsklamotten von zumindest namhaften Herstellern, so kleidete er sich jetzt eher einfach und unauffällig.
    Wenn du gezwungen wirst deinen Standpunkt zu verändern, dann ändern sich auch deine Prioritäten
, dachte er bei sich.
    Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und fuhr den darauf stehenden Laptop hoch, wobei sein Blick schließlich doch noch auf die Zeitanzeige in der Taskleiste des Bildschirms fiel. Halb fünf.
    »Na ja«, murmelte er, »so ist der Tag wenigstens etwas länger.«
    Während er seine E-Mails herunterlud, ging er zu der kleinen Küchenzeile und schaltete den Wasserkocher ein, wobei er sicher zum hundertsten Mal daran dachte, dass eine kleine Wohnung auf alle Fälle den Vorteil kurzer Wege hatte.
    Sein Leben hatte sich komplett geändert.
Er
hatte sich komplett geändert seit dem Unfall. Gerade auch, was seine Arbeit, seinen Lebensunterhalt betraf. Früher war er ein erfolgreicher Ingenieur, ein Teamplayer gewesen. Doch jetzt arbeitete er am liebsten allein. Durch seine alten Beziehungen hatte er einige Büros aufgetan, die ihn freiberuflich beschäftigten. Aufmasse, Abrechnungen, Bestandspläne, und solches Zeug. Arbeiten dieser Art, die er früher lieber delegiert hatte, ermöglichten es ihm jetzt, mit seinen Fähigkeiten sein Einkommen zu sichern, ohne ständig mit anderen Menschen in Verbindung zu stehen.
    So konnte er sich mehr und mehr in seinen Kokon einspinnen und die Wunden seiner Seele beweinen. Jeden Tag ein Stück mehr.
    Die moderne Computertechnik kam ihm hier natürlich sehr entgegen. Internet, Mailings, Datenfernübertragung - niemand musste wirklich mit Anderen persönlich Kontakt aufnehmen, wenn er nicht wollte. Unmengen von Daten wurden tagtäglich um die ganze Welt geschaufelt, ohne dass die meisten Beteiligten mehr voneinander wussten als e-mail- und Webadressen.
    Er setzte sich an den Computer und sah sich den Posteingang in seinem Mailprogramm an. So erhielt er seine Aufträge, versandte seine Arbeiten und seine Abrechnungen. Und wenn es doch einmal nötig wurde, zur Erledigung eines Auftrages eine Baustelle aufzusuchen oder an einer Besprechung teilzunehmen? Das konnte er ohne Probleme in sein Einsiedlerleben einbauen – solange er wusste, dass dies nicht von Dauer war und er sichschließlich wieder in seiner Einsamkeit verstecken konnte. So arbeitete er sich also durch die eingetroffenen Nachrichten, als er plötzlich stutzte.
    Die meisten Mitteilungen konnte er sehr schnell verschiedenen Aufträgen zuordnen; schließlich wurde er fast immer wieder von den gleichen Büros beauftragt. Doch der Absender einer der Mails verblüffte ihn, obwohl, oder gerade
weil
ihm der Name bekannt war.
    [email protected]
    Benjamin Blasek
? Verdammt, das musste doch sicher zwanzig Jahre her sein. Zwanzig Jahre, in denen er nicht ein Wort von Ben gehört hatte und auch von sich nichts hatte hören lassen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er ohne zu zögern behauptet, Ben sei sein bester Freund. Sie hatten zusammen hier in München studiert, er allgemeines Bauingenieurwesen und Ben Architektur. Bei einer gemeinsamen Vorlesung – so sehr er sich auch anstrengte, fiel ihm nicht mehr ein was es war – waren sie im Auditorium nebeneinander zu sitzen gekommen und waren sich von Anfang an sympathisch gewesen. Nach der Vorlesung, die am Nachmittag stattgefunden hatte, hatte ihn Ben auf ein Bier in eine der zahlreichen Studentenkneipen Münchens eingeladen und von diesem Tag an waren sie unzertrennlich gewesen. Unzertrennlich bis zu dem Tag, als sie sich nach dem Studium verschiedene Wege einschlugen. Er war zuerst nach Berlin
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