Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneemond (German Edition)

Schneemond (German Edition)

Titel: Schneemond (German Edition)
Autoren: Klaus Kohlpaintner
Vom Netzwerk:
sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie waren fröhlich gewesen an diesem Abend, an dem sie von Evas Abschlussball gekommen waren. Fröhlich und ausgelassen, wie schon seit Langem nicht mehr. Er hatte endlich
sein
Projekt in den Emiraten - den Bau der Entsalzungsanlage, mit dem er zeitweise mehr verheiratet war als mit seiner Frau – abgeschlossen. Er hatte den Sand und die Hitze hinter sich gelassen. Dies, aber auch das Gefühl, Teil einer großen Sache zu sein. Er war froh gewesen, dass ihn Sara in dieser Zeit nicht vor die Wahl gestellt hatte, sich zwischen dem gewaltigen, großartigen und perfekt choreographierten Chaos an der Küste des arabischen Landes und seiner Familie entscheiden zu müssen. Er hatte sich oft eingeredet, dass er nicht wusste, wie er sich entschieden hätte.
    Doch tief in seinem Innern war es ihm immer klar gewesen. Er hatte es einfach zu sehr geliebt, diesen Schöpfungsakt, ein Stück Erde umzuformen,den Ansprüchen von Menschen anzupassen – das bedeute für ihn
wirklich
zu leben.
    Doch nach dem Abschluss der Arbeiten hatte er endlich wieder das Gefühl gehabt, heimzukehren und er wollte wieder Teil seiner Familie sein. Es hatte jedoch noch einiger klärender Gespräche mit Sara bedurft, um ihr auch wieder emotional und nicht nur räumlich näher zu kommen. Doch gerade in dieser Zeit hatte er erkannt, wie tapfer sie sich gehalten hatte, in diesen fast drei Jahren, in denen er für seine Frau und seine Tochter praktisch verloren war. Und er hatte auch erkannt, wie sehr er sie deshalb liebte.
    Erst in dieser Zeit und nachdem er sich seiner Familie beinahe entfremdet hatte, schien er Sara wieder mit allen Sinnen wahrzunehmen. Ihre unaufdringliche, natürliche Schönheit, ebenso wie ihre Klugheit und umsichtige Art. Und Eva hatte viel von ihrer Art und ihrem Wesen geerbt. Nur ihre blauen Augen, die in einem seltsam aufregenden Kontrast zu ihrem brünetten Haar standen, hatte sie von ihm.
    Seine Arbeit in der Hamburger Zentrale des Unternehmens beanspruchte ihn nach wie vor sehr stark. Und doch war er wieder zuhause und nicht nur ein Durchreisender, als der er sich auch selbst in den vergangenen Jahren gefühlt hatte. Er war erfolgreich in seinem Job, er war glücklich mit seiner Frau, er war stolz auf seine Tochter – und er war der irrigen Annahme verfallen, dass er die Fäden seines Lebens in der Hand hielt.
    An diesem Abend – es war der Tanzkursabschlussball an Evas Schule gewesen – hatten er und Sara sich köstlich amüsiert und unterhalten. Schon jahrelang waren sie nicht mehr tanzen gewesen und die ganze Stimmung hatte ihn ausgelassen gemacht. Als stolzer Vater hatte er auch einige Tänze mit seiner hübschen und, für seinen Geschmack, schon etwas
zu
erwachsenen Tochter aufs Parkett gelegt.
    Aufgekratzt, fröhlich und zufrieden war er mit Sara und Eva schließlich ins Auto gestiegen und losgefahren, mit der an Überheblichkeit grenzenden Überzeugung, dass ein paar Gläser Wein ihn in keiner Weise beeinträchtigen könnten. Eva hatte es sich müde auf dem Rücksitz bequem gemacht und war schnell eingedöst, während Sara und er sich, bei leiser Musik, angeregt unterhielten und einander neckten, wie ein frisch verliebtes Paar. Er hielt sich in diesem Augenblick für unbesiegbar und, als er Sara in die Augen blickte, auch für unwiderstehlich. Langsam ließ er die Hand, die auf ihrem straffen Schenkel lag, nach oben in ihren Schoß gleiten, in Gedanken voller Vorfreude auf das, was diese Nacht noch bringen mochte.
    Anzüglich grinsend richtete er den Blick zurück auf die Straße – und glotzte fassungslos auf das Reh, das im Lichtkegel der Scheinwerfer vor dem Wagen aufgetaucht und stehen geblieben war. Als ihm in seinem trägen, benebelten Gehirn endlich die Konsequenz des Gesehenen bewusst wurde,trat er mit aller Kraft auf die Bremse.
    So unzusammenhängend seine Gedanken bis zu diesem Augenblick waren, so klar waren sie im nächsten Sekundenbruchteil und er erkannte mit unumstößlicher Sicherheit, dass nichts was er tat, den Gang der Katastrophe auch nur im Geringsten beeinflussen konnte.
    Der Zusammenprall war plötzlich und heftig. Als würde das Leben in Zeitlupe ablaufen, sah er, wie das Reh sprang, von der Schnauze des Autos an den Gelenken der Läufe erfasst und über die Motorhaube auf die Windschutzscheibe zugedreht wurde. Eine unheimliche, tiefe Ruhe hatte ihn erfasst. Dann, nach schier endlosen Augenblicken, zerbarst die Scheibe und ein Schwall von Glassplittern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher