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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann
Autoren: Jo Nesbø
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seine Brust auf die Ziegel zu hieven. Mit geschlossenen Augen hörte er, wie der Vorwärtsgang eingelegt wurde und sich der Wagen in Bewegung setzte. Es folgte ein Knirschen. Und noch eins. Na los! Harry wusste, dass die Zeit langsamer verging, als er glaubte. Und trotzdem nicht langsam genug. Während er noch auf das erlösende Krachen wartete, stieg plötzlich die Drehzahl des Motors und ließ den Landrover wild aufheulen. Verdammt! Harry begriff, dass die Reifen auf dem Schnee durchdrehten.
    Da schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Er könnte ein Gebet sprechen. Aber er wusste, dass sich Gott längst entschieden hatte und das Schicksal ausverkauft war. Dieses Ticket musste er also auf dem Schwarzmarkt lösen. Doch ohne sie war seine Seele sowieso verloren. Und so erlosch dieser Gedanke wieder, als er das Gummi auf dem Asphalt hörte, das leiser werdende Heulen und das erneute Knacken.
    Die großen, schweren Reifen griffen wieder.
    Dann kam das Krachen. Der Motor heulte noch einmal auf, bevor er ganz verstummte. Eine Sekunde vollkommener Stille folgte. Dann knallten die Gitterstäbe dumpf auf das Autodach.
    Harry schob sich behutsam rückwärts vom Dach. Er stand mit dem Rücken zum Hof auf der Dachrinne und spürte, wie sie langsam nachgab. Rasch bückte er sich, packte die Dachrinne mit beiden Händen und stieß sich mit den Füßen ab. In der Luft streckte er seinen Körper, und als er zur Hauswand zurückschwang, knickte er in der Hüfte ab und nahm mit den Beinen kräftig Schwung Richtung Schlafzimmerfenster. Die Füße hielt er senkrecht nach vorne gestreckt. In dem Moment, als das dünne alte Fensterglas mit einem trockenen Klirren unter seinen Schuhsohlen nachgab, ließ Harry die Dachrinne los. Eine Zehntel Sekunde lang hatte er keine Ahnung, wo er landen würde. Unten auf dem Hof, in den gefletschten Zähnen der Scherben oder im Schlafzimmer.
    Irgendetwas knallte. Eine Sicherung musste durchgebrannt sein, denn es wurde dunkel.
    Harry segelte durch einen Raum aus Nichts, spürte nichts, erinnerte sich an nichts, war nichts.
    Als das Licht zurückkam, dachte er nur, dass er in diesen Raum zurückwollte. Schmerzen stachen durch seinen ganzen Körper. Er lag auf dem Rücken in eiskaltem Wasser. Aber er musste tot sein, denn über ihm schwebte ein Engel in Blutrot, er sah seinen Heiligenschein im Dunkel leuchten. Im nächsten Moment meldeten sich die Geräusche wieder. Das Kratzen, das Atmen. Er sah das verzerrte Gesicht, die Panik, den weit aufgerissenen Mund mit dem gelben Ball darin und die Füße, die am Schnee nach oben zu klettern versuchten. Er wollte einfach nur die Augen schließen. Ein Laut wie ein leises Jammern. Nasser Schnee, der langsam nachgab.
    Im Nachhinein konnte Harry nicht wirklich darüber Auskunft geben, was geschehen war, er erinnerte sich nur an den ekelhaften Gestank, als sich die glühende Schneideschlinge durch den Körper brannte.
    In dem Augenblick, als der Schneemann endgültig zusammenbrach, sprang Harry auf. Rakel kippte nach vorn. Er riss die rechte Hand hoch und schlang den linken Arm um ihre Beine, um sie oben zu halten. Doch er wusste, es war zu spät. Fleisch zischte, seine Nasenlöcher füllten sich mit einem fetten, süßlichen Gestank, während ihm das Blut übers Gesicht lief. Er starrte nach oben. Seine rechte Hand lag zwischen dem weißglühenden Draht und ihrem Hals. Ihr Gewicht drückte seine Hand auf die Schneideschlinge, welche sich durch das Fleisch seiner Finger fraß wie ein Eierschneider durch ein weich gekochtes Ei. Und wenn sie hindurch war, würde sie Rakels Hals durchtrennen. Die Schmerzen kamen, verspätet und dumpf, wie der erst widerwillige, dann unerbittliche Stahlhammer eines Weckers. Harry kämpfte verzweifelt, auf den Beinen zu bleiben. Er musste die linke Hand freibekommen. Geblendet vom Blut, schob er Rakel auf seine Schulter und streckte die freie Hand über den Kopf. Spürte ihre Haut an seinen Fingerkuppen, die dicken Haare und die Schneideschlinge, die sich in seine Haut schnitt, bevor seine Hand endlich das harte Plastik des Handgriffs erreichte. Seine Finger fanden einen Kippschalter, schoben ihn nach rechts, ließen aber gleich wieder los, als er spürte, dass die Schlinge sich daraufhin zuzuziehen begann. Dann huschten seine Finger über einen anderen Schalter und drückten. Das Geräusch verschwand, das Licht begann zu flackern und er spürte, dass er jetzt gleich das Bewusstsein verlieren würde. Atme, dachte er, du musst doch nur wieder
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