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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann
Autoren: Jo Nesbø
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der neben ihm an der Anrichte stand. Das Licht aus dem verschneiten Garten fiel auf den kahlen, glänzenden, massiven Schädel seines Vaters. Mama hatte gesagt, Vaters Kopf sei so groß, weil er ein so großer Geist sei. Er hatte sie gefragt, warum er ein Geist sei, aber sie war ihm nur lachend durch die Haare gefahren und hatte gesagt, das sei bei Physikprofessoren nun einmal so. In diesem Augenblick wusch der große Geist Kartoffeln unter fließendem Wasser, bevor er sie mit Schale in einen Kochtopf gab.
    “Papa, willst du die denn nicht schälen? Mama macht das immer … “
    “Deine Mutter ist nicht hier, Jonas. Also machen wir das jetzt auf meine Weise.”
    Er war bei diesen Worten nicht laut geworden, aber trotzdem lag etwas in seiner Stimme, das Jonas zum Schweigen brachte. Er verstand nie so richtig, wann sein Vater wütend wurde. Und manchmal merkte er nicht einmal, dass er wütend war. Nicht bevor er Mamas Gesicht sah, diesen ängstlichen Zug um ihren Mund herum, der Vater aber immer nur noch wütender zu machen schien. Er hoffte, dass sie bald wieder nach Hause kam.
    “Papa, die Teller nehmer sonst nicht.”
    Der Vater knallte die Schranktür zu, und Jonas biss sich auf die Unterlippe. Dann senkte sich das Gesicht seines Vaters zu ihm herunter. Es glitzerte in den hauchdünnen, viereckigen Brillengläsern. “Das heißt nicht nehmer, sondern nehmen wir”, korrigierte der Vater. “Wie oft muss ich dir das eigentlich noch sagen, Jonas?” “Aber Mama sagt … “
    “Mama hat ja auch keine saubere Aussprache. Verstehst du?
    Weder in dem Ort, aus dem Mama kommt, noch in ihrer Familie pflegt man die norwegische Sprache.” Vaters Atem roch salzig und nach fauligem Tang.
    Die Haustür ging auf.
    “Hallo, da bin ich wieder”, hörten sie vom Flur. Jonas wollte aus der Küche rennen, doch sein Vater hielt ihn an der Schulter zurück und zeigte auf den ungedeckten Tisch.
    “Wie fleißig ihr seid!”
    Jonas konnte das Lächeln in ihrer abgehetzten Stimme hören, während er hastig Tassen und Besteck zum Tisch trug.
    “Und was ihr für einen schönen großen Schneemann gebaut habt!”
    Jonas drehte sich fragend zu seiner Mutter um, die sich den Mantel aufgeknöpft hatte. Sie war so schön. Ihre Haut und ihre Haare waren dunkel wie seine, aber in ihren Augen lag fast immer eine unglaubliche Zärtlichkeit. Fast immer. Sie war nicht mehr so dünn wie auf dem Hochzeitsfoto mit Vater, aber er merkte, dass sich die Männer nach ihr umdrehten, wenn sie in der Stadt waren.
    “Wir haben aber gar keinen Schneemann gebaut”, sagte Jonas. “Nicht?” Die Mutter runzelte die Stirn und befreite sich von dem langen rosa Schal, den sie von ihm zu Weihnachten bekommen hatte.
    Vater trat ans Küchenfenster. “Das müssen die Nachbarjungs gewesen sein”, mutmaßte er.
    Jonas kletterte auf einen Stuhl und sah nach draußen. Und tatsächlich, auf der Wiese direkt vor dem Haus stand ein Schneemann. Er war wirklich groß, wie Mutter gesagt hatte. Mit Augen und Mund aus Kieselsteinen und einer Möhrennase. Doch er hatte weder Hut noch Mütze oder Schal und auch nur einen Arm. Einen dünnen Zweig, der, wie Jonas glaubte, aus der Hecke stammte. Aber irgendetwas war an diesem Schneemann merkwürdig. Er stand falsch herum. Jonas hätte nicht erklären können, warum, aber ein Schneemann sollte doch in Richtung Straße blicken, ins Freie.
    “Wieso … “, begann Jonas, wurde aber von seinem Vater unterbrochen:
    “Ich muss wohl mal ein Wörtchen mit denen reden.” “Warum?”, fragte Mama vom Flur. Jonas konnte hören, wie sie den Reißverschluss der hohen schwarzen Stiefel aufzog. “Das macht doch nichts.”
    “Ich will nicht, dass die einfach so bei uns auf dem Grundstück herumrennen. Ich kümmere mich drum, wenn ich wiederkomme.”
    ” Wieso guckt der nicht zur Straße?”, wollte Jonas wissen. Mutter seufzte auf dem Flur. “Und wann kommst du wieder,
    Liebling? “
    “Irgendwann morgen.” “Um wie viel Uhr?”
    “Wieso? Hast du eine Verabredung?” Die Stimme seines Vaters klang mit einem Mal so leichthin, dass es Jonas schauderte.
    “Nein, ich dachte bloß, dass ich dann ja das Essen fertig haben könnte”, erwiderte seine Mutter und kam in die Küche. Sie trat an den Herd, warf einen Blick in die Töpfe und drehte zwei Platten höher.
    “Mach du nur das Essen”, sagte sein Vater und drehte sich zu dem Zeitungsstapel auf der Anrichte um. “Ich komm dann schon irgendwann. “
    “Na gut.” Sie trat hinter
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