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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann
Autoren: Jo Nesbø
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und ein graugelbes Geflecht mit Nagellöchern. Auf dem Boden stand der Werkzeugkoffer des Pilzmannes, und auf dem Küchentisch lag ein Zettel, dass er morgen früh wiederkäme.
    Er ging ins Wohnzimmer und legte die Neil-Young-CD ein. Eine Viertelstunde später nahm er sie deprimiert wieder aus dem Player und legte stattdessen Ryan Adams auf. Wie aus dem Nichts meldete sich der Wunsch, etwas zu trinken. Harry schloss die Augen und starrte auf das tanzende Muster aus Blut und schwarzer Blindheit. Wieder dachte er an den Brief. Den ersten Schnee. Toowoomba.
    Das Klingeln des Telefons schnitt durch Ryan Adams’ “Shakedown On 9th Street”.
    Eine Frauenstimme stellte sich als Oda aus der” Bosse”-Redaktion vor und fragte, ob er sich noch an sie erinnere. Harry erinnerte sich nicht mehr an sie, wohl aber an die Sendung. Sie hatten ihn im Frühjahr einmal eingeladen, um etwas über Serienmörder zu erzählen, da er der einzige norwegische Polizist war, der jemals beim FBI gewesen war, dieses Thema speziell studiert und überdies schon einmal einen echten Serienmörder gejagt hatte. Harry war damals dumm genug gewesen, die Einladung anzunehmen. Damals hatte er sich eingeredet, er hätte es getan, um etwas Wichtiges und einigermaßen Qualifiziertes über Menschen zu sagen, die töteten - und nicht etwa, um selbst in der populärsten Talkshow des Landes aufzutreten. Im Nachhinein war er sich da nicht mehr so sicher gewesen. Aber das war noch gar nicht das Schlimmste. Viel übler war die Tatsache, dass er sich vor der Sendung einen Drink genehmigt hatte. Harry war damals überzeugt, es sei wirklich nur einer gewesen, doch während der Sendung hatte es so ausgesehen, als hätte er mindestens fünf intus. Seine Aussprache war wie immer deutlich gewesen, aber sein Blick verschleiert und seine Analysen oberflächlich. Seine Schlussfolgerungen war er ganz schuldig geblieben, weil der Moderator da schon einen frischgebackenen Europameister in der Disziplin Blumendekoration in Empfang hatte nehmen müssen.Harry hatte das nicht kommentiert, mit seiner Körpersprache aber mehr als deutlich gezeigt, was er von der Blumendebatte hielt.Als der Talkmaster ihn lächelnd fragte, welche Beziehung ein Kommissar des Morddezernats zu norwegischer Blumendeko habe, antwortete Harry, die Kränze auf den norwegischen Beerdigungen nähmen im internationalen Vergleich sicher einen vorderen Platz ein. Vielleicht hatte er es seiner leicht angeschickerten Nonchalance zu verdanken, dass er die Lacher im Studio auf seiner Seite hatte und der Produzent ihm nach der Sendung auf die Schulter klopfte. Er habe seine Message rübergebracht, hieß es. Und dann war er noch mit einer kleinen Gruppe ins Kunsternes Hus gegangen, wo man ihm reichlich Drinks ausgab. Als er am nächsten Tag aufwachte, verlangte sein Körper mit jeder Faser nach mehr, schrie nach mehr. Da es ein Samstag war, saß er bis Sonntagabend im Schröders und trank Bier, bis Rita, die Bedienung, bei Kneipenschluss zu ihm kam und ihm mit Hausverbot drohte, falls er sich jetzt nicht endlich auf den Heimweg machte. Am nächsten Morgen erschien Harry pünktlich um halb acht auf der Arbeit. Wenn auch niemand Nutzen von einem Polizeiermittler hatte, der nach der Morgenbesprechung ins Waschbecken kotzte, sich an den Bürostuhl klammerte, Kaffee trank, rauchte und sich wieder übergab, dieses Mal in ein Klo. Doch das war der letzte Rückfall gewesen, seit April hatte er keinen Tropfen mehr angerührt.
    Und jetzt wollten sie ihn also wieder im Fernsehen haben.
    Die Frau erklärte, es gehe um den Terrorismus in den arabischen Ländern und um die Frage, wie aus gebildeten Menschen der Mittelklasse plötzlich Mordmaschinen wurden. Harry unterbrach sie, noch bevor sie zum Ende gekommen war.
    “Nein.”
    “Aber wir hätten dich so gerne hier, du bist so … so … Rock ‘n’ Roll. ” Sie lachte mit einer Begeisterung, über deren Echtheit er sich nicht im Klaren war, aber jetzt erkannte er ihre Stimme. Auch sie war an diesem Abend im Kunsternes Hus gewesen. Sie war auf eine jugendliche, etwas langweilige Art hübsch gewesen, hatte auf eine jugendliche, etwas langweilige Art geredet und Harry gierig angestarrt. So wie eine exotische Speise, von der sie nicht wusste, ob sie nicht zu exotisch für sie war.
    “Ruf jemand anders an”, empfahl Harry und legte auf. Dann schloss er die Augen und hörte Ryan Adams fragen: “Oh, baby, why do I miss you like I do?”
     
    Der Junge blickte zu dem Mann auf,
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