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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann
Autoren: Jo Nesbø
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Manchmal kam es aber noch vor, dass er in den engen, fensterlosen Raum lief, den er sich früher mit Jack Halvorsen geteilt hatte. Jetzt saß dort Magnus Skarre, und Jack Halvorsen lag in der Erde des Vestre-Aker-Friedhofes. Seine Eltern hatten ihren Sohn ursprünglich zu Hause bei sich in Steinkjer beerdigen wollen, da Jack und Beate Lonn, die Leiterin der Kriminaltechnik, noch nicht verheiratet gewesen waren. Sie hatten ja nicht einmal zusammengewohnt. Als die Eltern aber erfuhren, dass Beate schwanger war und im Sommer Jacks Kind zur Welt bringen würde, hatten sie sich darauf geeinigt, ihn in Oslo zu beerdigen.
    Harry ging in sein neues Büro, das für ihn wohl immer so heißen würde. Schließlich hieß auch das fünfzig Jahre alte Stadion des FC Barcelona auf Katalanisch noch immer Camp Nou, das “neue Stadion”. Er ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen und schaltete das Radio ein, während er den Bildern zunickte, die auf dem obersten Regalbrett an der Wand lehnten. Irgendwann in ferner Zukunft, wenn er einmal daran dachte, Nägel zu kaufen, würde er sie aufhängen. Ellen Gjelten, Jack Halvorsen und Bjarne Müller. In dieser Reihenfolge standen sie da, chronologisch. Der Club der toten Polizisten.
    Im Radio redeten norwegische Politiker und Soziologen über die Präsidentenwahl in Amerika. Harry erkannte die Stimme von Arve Stüp, dem Verleger des Erfolgsmagazins “Liberal”. Er galt als einer der kompetentesten, arrogantesten und unterhaltsamsten Meinungsbildner. Harry drehte die Lautstärke auf, bis die Stimmen durch den Raum hallten, nahm die Peerless-Handschellen von der Tischplatte seines neuen Schreibtisches und übte sich im Speedcuffing am Tischbein, das schon ganz zersplittert war. Angewöhnt hatte Harry sich diese Unsitte auf einem FBI-Kurs in Chicago, wobei er die Technik im Laufe der einsamen Abende in einer heruntergekommenen Wohnung in Cabrini Green noch perfektioniert hatte, begleitet vom Streiten der Nachbarn und mit Jim Beam als einziger Gesellschaft. Es ging dabei darum, die geöffneten Handschellen so um das Handgelenk des Häftlings zu schlagen, dass der gefederte Riegel herumschwang und auf der anderen Seite des Handgelenks arretierte. Mit Präzision und dem richtigen Schwung konnte man sich so an einen Häftling ketten, bevor dieser überhaupt reagieren konnte. Harry hatte das beruflich noch nie gebraucht, und auch das andere, das er dort gelernt hatte, war ihm erst ein einziges Mal von Nutzen gewesen: wie man einen Serienmörder festnimmt. Die Handschellen schlossen sich klickend um das Tischbein, während man im Hintergrund die Stimmen im Radio hörte:
    “Wie lässt sich Ihrer Meinung nach die Skepsis erklären, die man hierzulande George Bush entgegenbringt, Arve Srop?”
    “Wir sind ein überbehütetes Land, das im Grunde nie in irgendeinem Krieg gekämpft hat. Das haben wir immer schön den anderen überlassen. England, der Sowjetunion und den USA, ja, eigentlich verstecken wir uns seit den Kriegen Napoleons hinter dem Rücken unserer großen Brüder. Norwegens Sicherheit baut auf der Gewissheit auf, dass die anderen schon einschreiten werden, wenn es darauf ankommt. Das läuft bereits so lange so, dass wir den Blick für die Realität verloren haben und glauben, die Erde sei im Grunde bloß von Menschen bevölkert, die uns - dem reichsten Land der Welt - nur Gutes wollen. Norwegen ist eine plappernde, strohdumme Blondine, die sich in irgendeinem Hinterhof in der Bronx verlaufen hat und sich jetzt darüber entrüstet, wie brutal ihr Leibwächter mit den Leuten umspringt, die sie überfallen wollten.”
    Harry wählte Rakels Nummer. Neben der von Sos war Rakels Nummer die einzige, die er auswendig wusste. Als er noch jung und unerfahren gewesen war, hatte er geglaubt, ein schlechtes Gedächtnis sei ein Handicap für einen Ermittler. Mittlerweile wusste er es besser.
    “Und dieser Leibwächter ist George Bush und die USA? “, fragte der Moderator.
    “Ja, Lyndon B. Johnson hat einmal gesagt, die USA haben sich diese Rolle nicht ausgesucht, sondern ganz einfach eingesehen, dass es sonst niemanden gibt, der sie übernehmen könnte, und damit hat er recht. Unser Leibwächter ist ein frisch bekehrter Methodist, ein Kerl mit Vaterkomplex, einem Alkoholproblem, begrenzter Intelligenz und so wenig Rückgrat, dass er nicht einmal seinen eigenen Militärdienst anständig zu Ende gebracht hat. Kurz gesagt, ein Mann, über dessen heutige Wiederwahl wir uns freuen sollten.”
    “Ich gehe
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