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Schneekuesse

Schneekuesse

Titel: Schneekuesse
Autoren: Gaby Hoffmann
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normalerweise ablehnend die Hand über ihren Becher halten. Aber sie denkt ja nicht mehr, also braucht sie nichts abzulehnen. Sie lässt sich einen ordentlichen Schuss von Netty einschenken und trinkt ihren Tee in großen Zügen. Erics Rezept wirkt. Oder ist es die Wärme des Ofens, die endlich behaglich durch den Raum zieht? Jedenfalls bekommen Lindas blasse Wangen langsam Farbe.
    „He, das schmeckt ja noch mal so gut!“ Hannah trinkt ihren Tee lachend aus. Sie ist stolz darauf, den mürrischen Förster in Nettys Haus gelockt zu haben. „Setzen Sie sich aufs Sofa, und erzählen uns einen Schwank aus Ihrem Leben!“, ein blöder Spruch, aber Hannah ist plötzlich so aufgekratzt.
    Eric hockt sich auf die Sofakante und kratzt sich verlegen hinterm Ohr. Er ist zwar einige Jahre älter als Hannah, wenn auch nicht viele, aber ihr Selbstbewusstsein überfordert ihn offensichtlich.
    Da bekommt er unerwartet Hilfe von einer Seite, von der es niemand erwartet hätte. „Förster ist ein schöner Beruf. Ich war mal in einen Gärtner verliebt. Das ist ja so ähnlich, oder ...“, Linda kichert.
    Ach, du meine Güte – der Likör! Netty fasst sich erschrocken an die Nase. Ihre Nachbarin ist sicherlich keinerlei Alkohol gewohnt. 
    Aber Hannah stört das nicht. „Was ist aus dem Gärtner geworden?“
    „Tag für Tag bin ich in den Blumenladen seiner Mutter gegangen, um ihn zu treffen. Manchmal hatte ich Glück, wenn er in den Gewächshäusern arbeitete und nicht gerade Pflanzen auslieferte.“
    „Und was passierte?“, fragt Hannah gespannt. Sie wirft ihre dunkle Mähne mit Schwung zurück und guckt Linda gespannt an.
    Eric dagegen betrachtet Hannah ganz gespannt, als sei sie die einzige Frau im Raum.
    Netty muss ein Grinsen unterdrücken.
    Linda kichert wieder. Ihre Wangen glühen jetzt, sie lässt eine Decke fallen. „Ich habe mein halbes Monatsgehalt in Blumen umgesetzt.“
    „Und was hat er gesagt?“ Auch Hannahs Gesicht verfärbt sich allmählich.
    „Nichts.“
    „Nichts?“
    „Wir haben nie ein Wort gewechselt. Ich war unglaublich schüchtern damals. Zu schüchtern, um einen Mann anzusprechen. Und als ich endlich Mut genug hatte, da ging es nicht mehr.“ Linda nimmt versonnen einen großen Schluck aus ihrem Becher.
    „Warum nicht?“, forscht Netty neugierig. Menschliche Schicksale sind das A und O einer Journalistin. 
    „Ich musste mich um meine pflegebedürftige Mutter kümmern. Da blieb kaum Zeit, um nach der Arbeit mal auszugehen.“
    „Das ist ja schrecklich traurig! Finden Sie nicht auch, Eric?“ Hanna schenkt dem Förster ordentlich Likör in seinen Becher, so viel, dass der Tee darin keine Rolle mehr spielt. 
    Aber als echter Mann sieht man natürlich über solche Kleinigkeiten großzügig hinweg, und so trinkt Eric tapfer weiter.   
    „Linda, wollten Sie heute tatsächlich ... Ich meine, auf dem Bahnsteig, da ...“, Netty ist es gewohnt, rasch auf ihr Ziel loszusteuern, aber jemanden auf einen Selbstmordversuch anzusprechen, fällt ihr nicht leicht.
    „Ja, genau! Ich wollte nicht mehr leben.“
    Hannah guckt erschrocken. „Aber, aber ... So etwas darf man doch nicht mal denken. Mir geht es ja auch mies, richtig Scheiße sogar. Ich bin nichts und kann nichts!“ Hannah schluckt, jetzt ist es heraus, was sie die letzten Tage gequält hat. Sofort fühlt sie sich besser. „Selbstmord ist keine Lösung. Wenn ich mir vorstelle, in welches Unglück man damit seine Angehörigen stürzt!“
    Linda ist nicht gekränkt. Ganz entspannt, streicht ihre linke Hand über den warmen Teebecher. „Wenn man keine Angehörigen hat, gibt es niemanden, den das bekümmern würde.“
    „Freunde, Bekannte?“
    Linda schüttelt freundlich den Kopf. „Niemanden! Seit meine Mutter tot ist, laufe ich krampfhaft hinter den Leuten her, um wenigstens mal ein paar Worte mit jemandem zu wechseln. Dabei gehe ich bloß den Menschen auf die Nerven, die haben alle zu tun ...“
    Eric rutscht auf der Sofakante nach vorne. Das Thema interessiert ihn. „Also, ich bin gerne alleine. Ich bin froh, wenn ich nicht so viele Menschen um mich habe.“
    „Wie reizend!“, bemerkt Hannah sarkastisch.
    „Nein, wirklich!“, Eric streicht sich durch die verstrubbelten Blondhaare. Der Alkohol löst seine Zunge und lässt ihn ins Schwärmen geraten: „Was gibt es Schöneres, als an einem windigen Herbsttag durch den Wald zu laufen? Dieser Geruch nach feuchtem Laub und Beeren, der Wind fängt sich in den Bäumen und spricht zu mir ...
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