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Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall

Titel: Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
Autoren: Matthias P Gibert
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zusammengepressten Zähnen tief Luft. »Ja«, hauchte sie
schließlich tonlos.
    »Wann haben Sie Roman
Krug kennengelernt?«
    »Vor knapp zwei Jahren.
Er hat mich eines Tages an der Arbeit besucht und wollte sich mit mir
verabreden, weil er angeblich etwas mit mir zu besprechen hatte.«
    »Wo arbeiten Sie?«
    Sie nannte ihm die
Adresse eines Supermarkts, wo sie an der Fleischtheke bediente. »Zuerst dachte
ich, dass er mich nur anmachen will. Dann hat er mir diese abstruse Geschichte
erzählt, von wegen ich wäre seine Schwester und so.«
    »Sie haben ihm nicht
geglaubt?«
    »Nein, woher denn. Ich
war bis dahin sicher, dass ich von meinen leiblichen Eltern großgezogen worden
war. Deshalb wirkten seine Informationen auf mich wie ein Keulenschlag, bis er
mir ein Papier gezeigt hat, das er heimlich kopiert hatte. Vom Jugendamt. Da
stand drauf, dass ich und mein Zwillingsbruder gleich nach unserer Geburt zu
unseren Eltern, oder besser Adoptiveltern, gebracht worden waren.«
    »Und die haben wirklich
nie eine Andeutung darüber gemacht, dass Sie und Ihr Bruder …«, Lenz schlug
erneut den Aktendeckel zur Seite, »… Ihr Bruder Norbert von ihnen adoptiert
wurden?«
    »Nein, mit keinem Wort.«
    Der Polizist räusperte
sich. »Nun ja, wie auch immer. Wie ging es weiter, nachdem Ihr Bruder sich mit
Ihnen in Verbindung gesetzt hatte?«
    »Wir haben uns ein paar
Mal getroffen. Irgendwann habe ich ihm geglaubt, dass er wirklich mein Bruder
ist. Es ging ja auch nicht mehr anders. Und im Sommer letzten Jahres sind wir
dann zusammen nach Kassel gefahren und haben bei unserer Mutter geklingelt.«
    »Wie hat sie reagiert?«
    »Wie schon? Sie hat sich
tierisch gefreut, uns zu sehen. Sie hat ja gar nicht damit gerechnet, uns
jemals kennenzulernen. Aber es war, als würden wir sie vom ersten Moment an
richtig kennen. Sie war unsere richtige Mutter, das haben wir sofort gemerkt.
Alles war so … wie bei einer richtigen Mutter eben.«
    Jutta Bade zündete sich
eine weitere Zigarette an. »Sie war damals schon ziemlich krank, ließ sich aber
nicht viel davon anmerken. Und sie hat sich, obwohl sie echt schwach gewesen
ist, testen lassen, ob sie für Norbert, der mit Leukämie im Krankenhaus gelegen
hat, als Knochenmarkspenderin infrage kommen würde.«
    »Und?«
    »Nein, kam sie leider
nicht. Auch Roman und ich waren nicht die passenden Spender.«
    »Ich dachte immer, dass
Familienangehörige grundsätzlich die richtigen seien?«
    »Dachte ich auch, aber
das stimmt nicht. Es ist sogar oft so, dass enge Familienangehörige als Spender
ungeeignet sind.«
    »Wie ging es weiter,
nachdem Sie Ihre Mutter kennengelernt hatten?«
    Sie sah den Polizisten
traurig an. »Erstmal gar nicht. Petra, wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir
uns mit Vornamen anreden, hatte sich zwar gefreut, uns kennenzulernen, wollte
aber den Kontakt nicht zu eng werden lassen. Sie fürchtete sich davor, dass wir
zu viel von ihrem Leben mitkriegen würden, glaube ich.«
    »War ihr Leben denn so …
versteckenswürdig?«
    »Fand ich gar nicht. Sie
hatte eine schwere Kindheit und so, da kann man schon verstehen, dass später
nicht alles gerade gelaufen ist, oder?«
    »Das Verhältnis ist dann
aber enger geworden?«
    »Ja. Vielleicht wollte
sie uns auch zuerst nicht so häufig sehen, weil sie dachte, dass es uns, also
Roman und mir, schaden würde, was aber absoluter Quatsch war.« Die Hand mit der
Zigarette darin bewegte sich Richtung Mund und langsam zurück. »Im Herbst
letzten Jahres wurde sie dann richtig krank. Sie hat nach einem leichten
Schlaganfall wochenlang im Bett gelegen und konnte sich kaum noch rühren.
Irgendwann, nachdem sie uns dreimal weggeschickt hatte, ließ sie uns rein. Und
von diesem Tag an waren wir wie eine Familie. Nur wissen durfte niemand etwas
davon, das mussten wir ihr in die Hand versprechen.«
    »Warum das?«
    »Sie hat sich furchtbar
dafür geschämt, dass sie uns gleich nach der Geburt weggegeben hat. Ich glaube,
das hat sie sich nie richtig verziehen. Deshalb durfte auch niemand wissen, wer
wir in Wirklichkeit waren. Da hat sie überhaupt nicht mit sich reden lassen.«
    »Hat sie Ihnen zu dieser
Zeit auch erzählt, wer Ihr leiblicher Vater ist?«
    »Nein, damit wollte sie
ganz lange Zeit nicht rausrücken. Sie hat uns erzählt, er sei im Ausland und
sie habe schon seit ganz vielen Jahren keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt. Erst
als es Norbert immer schlechter ging und es klar war,
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