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Schmetterlingsschatten

Schmetterlingsschatten

Titel: Schmetterlingsschatten
Autoren: Veronika Bicker
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selbst passieren könnte. Sie versuchte, sich zu erinnern, was man in so einem Fall machen sollte.
    »Sie machen mir gar keine Angst!«, sagte sie schließlich in den Hörer und legte auf. Insgeheim hoffte sie, dass sie sich genauso lässig angehört hatte wie Vivienne. Die konnte so etwas toll. Sie spürte, wie ihre Hände zitterten. Sie ballte sie zu Fäusten und öffnete sie wieder. Dadurch wurde es etwas besser.
    »Wer war das?« Ihre Mutter, von unten. Sogar bei dieser einfachen Frage klang Kummer in ihrer Stimme mit. Einen Moment lang war Elena versucht, die Wahrheit zu sagen. Aber das hatte keinen Sinn, es würde ihre Mutter nur aufregen.
    »Vivienne«, antwortete sie.
    »Ah, gut.« Sie konnte regelrecht sehen, wie ihre Mutter beruhigt nickte und wieder zurück in die Küche ging. Elena blieb gedankenversunken neben dem Telefon stehen. Ob sie Viv anrufen sollte, ihr von dem Telefonspinner erzählen? Oder vielleicht Timo? Dann aber beschloss sie, dass sie dem Anruf viel zu viel Beachtung schenkte. Am besten, sie versuchte einfach, ihn zu vergessen. Es gab momentan ziemlich viel, was sie vergessen wollte, da fiel der eine Anruf auch nicht weiter ins Gewicht.
    Ihre Mutter hatte das Radio angeschaltet. Sie musste mal wieder an Laura gedacht haben, denn sonst ließ sie es während des Essens nicht laufen. Elena fragte sich, wann ihre Mutter aufhören würde, sich Vorwürfe zu machen. Wahrscheinlich nie.
    Schweigend schaufelte sie das Essen in sich hinein, während ihre Mutter irgendetwas von der Arbeit erzählte. Ihre gezwungene Heiterkeit bestätigte Elenas Verdacht. Sie wollte sich ablenken.
    Im Radio dudelte die Erkennungsmelodie der Nachrichten. Sofort verstummte Elenas Mutter und wandte sich dem Apparat zu. Manchmal glaubte Elena, dass sie auf eine weitere Hiobsbotschaft wartete. Ein weiteres Unglück, das ihr bewies, dass die Welt schlecht war und sie Elena davor beschützen musste.
    Das Radio tat ihr den Gefallen. Nach einer Reihe von Wahlen, Präsidentenbesuchen und Umweltkatastrophen kam der Sprecher zu den Lokalnachrichten und damit unvermeidlich zu dem toten Mädchen aus dem Wald.
    »… Nachforschungen haben ergeben, dass es sich bei der Toten um ein 15-jähriges Mädchen aus dem Kreis Frankfurt handelt, das bereits im letzten Jahr als vermisst gemeldet wurde. Das Mädchen war bereits mehrfach von zu Hause fortgelaufen. Es wird vermutet, dass sie bis in diese Gegend getrampt ist, wo es dann zu dem tödlichen Unfall kam. Nach dem Unfallfahrzeug wird weiterhin gefahndet. Das Wetter…«
    Elena hörte nicht mehr zu, sondern achtete nur auf den Gesichtsausdruck ihrer Mutter. Während des Berichtes über das tote Mädchen war sie immer blasser geworden, als gäbe es dort draußen einen Wahnsinnigen, der wahllos junge Mädchen überfuhr und nur darauf wartete, ihr Elena auch noch zu entreißen.
    »Mama?«, fragte sie vorsichtig. Vielleicht konnte sie ihre Mutter noch schnell überzeugen, obwohl sie sich schon denken konnte, wie die Antwort ausfallen würde. »Ich möchte zu Viv gehen. Lernen. Für Geschichte.«
    Ihre Mutter starrte sie an, als sei sie ein Gespenst. »Du kannst doch hier lernen.«
    Elena verdrehte die Augen. Das war ja klar gewesen. Diese bescheuerte Radionachricht. Jetzt hatte ihre Mutter selbst Angst, sie zu Vivienne gehen zu lassen. »Aber zu zweit geht es besser. Bitte, Mama!«
    Ihre Mutter starrte sie einen Moment beinahe verzweifelt an. Dann, ganz plötzlich, lächelte sie. Sie sah fast so aus wie früher, wenn sie lächelte.
    »Lad doch Vivienne hierher ein, dann könnt ihr lernen und danach schauen wir uns alle zusammen einen Film an. Oder wir gehen in die Eisdiele, was meinst du? Wäre das nicht schön?«
    Elena sah sie skeptisch an. Was sollte sie dazu sagen? Sie konnte ihrer Mutter schlecht erzählen, dass sie später noch weggehen wollten. Weggehen war für Elenas Mutter gleichbedeutend mit tödlicher Gefahr. Außerdem konnte sie in diesem Haus nicht lernen. Dann schon lieber das Geschrei von Viviennes kleiner Schwester Michelle ertragen.
    »Wir können auch ins Kino gehen, wenn du willst«, fuhr ihre Mutter fort. »Und danach gehen wir dann Pizza essen.«
    Elena gab nach. »Na gut, ich werde Viv anrufen«, log sie. »Du kannst uns ja einen Film ausleihen. Irgendwas Spannendes, ja?« Ihre Mutter lächelte. Für einen Moment bekam Elena ein schlechtes Gewissen.
    Sie wartete, bis ihre Mutter zur Videothek aufgebrochen war, dann schlüpfte sie in ihre Turnschuhe und griff nach ihrem
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