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Schmetterlingsschatten

Schmetterlingsschatten

Titel: Schmetterlingsschatten
Autoren: Veronika Bicker
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Lehrer versuchten, ihr beizubringen. Der Unterricht verschwamm zu einem unbestimmten Hintergrundrauschen. Die meiste Zeit saß sie mit aufgestütztem Kinn da, starrte aus dem Fenster und dachte an Laura. Eigentlich wollte sie das nicht, es hatte lange genug gedauert, bis sie nicht mehr jeden Tag mindestens einmal in Tränen ausgebrochen war, besonders zu Hause, oder wenn sie irgendetwas sah, das Laura gefallen hätte. Aber die Erinnerung drängte sich einfach in ihr Gedächtnis und Elena konnte sie nicht aufhalten.
    Beinahe ein Jahr war es nun her. Sie sah es vor sich, als wäre es gestern gewesen.
    Den ganzen Abend war Laura nun unterwegs und ihre Mutter lief Amok. Elena kauerte auf der obersten Treppenstufe und hörte zu, wie sie mit der Polizei telefonierte. Mal wieder. Sie konnte sich die Stimme des Beamten vorstellen. Laura würde schon wiederkommen. Sie mache sich zu viele Sorgen. So etwas sagten sie immer, wenn Mama anrief. In der letzten Zeit war das öfter vorgekommen. Und natürlich kam Laura immer wieder nach Hause.
    Meistens konnte sich Elena die Angst ihrer Mutter nicht erklären. Noch nie war einer von ihnen etwas Ernsthaftes zugestoßen, besonders nicht, wenn sie im Dorf unterwegs waren. Laura hatte ihr versucht zu erklären, dass das irgendwie mit Papa zusammenhing, aber das hatte Elena nicht überzeugt. Warum glaubte ihre Mutter, dass sie die gleichen Fehler machen würden wie ihr Vater? Ihre Angst war völlig unbegründet.
    Aber dieses Mal wusste auch Elena, dass etwas nicht in Ordnung war. Laura hatte versprochen, mit ihr in die Stadt zu fahren, ins Kino. Sie müsse sowieso etwas in der Stadt erledigen, hatte sie gesagt, und Elena könne hinten auf dem Roller mitfahren, wenn sie wolle. Schon lange hatte Laura nichts mehr mit ihr unternommen gehabt und Elena freute sich unglaublich auf die Tour. Laura würde dieses Versprechen nicht einfach brechen, nur um länger fortzubleiben. So war sie nicht.
    Den ganzen Abend stand Elena am Fenster und hielt nach Laura Ausschau. Auch als ihre Mutter ihr längst gesagt hatte, dass sie ins Bett gehen sollte. Ganz ruhig stand sie da und starrte in die Nacht hinaus. Zweimal rief sie auf Lauras Handy an, aber nur die Mailbox antwortete.
    Kurz vor Mitternacht rollte ein Polizeiauto auf den Hof. Das Blaulicht war ausgeschaltet und da wusste Elena, dass etwas ganz Furchtbares geschehen sein musste. Leise schlich sie aus ihrem Zimmer und kauerte sich hinter das Treppengeländer, während ihre Mutter die Tür öffnete. Nicht mal klingeln hatte der Polizist müssen. Elenas Mutter hatte die ganze Zeit gewartet.
    Die Stimmen drangen nur gedämpft zu Elena herauf. Die beiden sprachen leise, um Elena nicht zu wecken, dabei hätte sie sowieso nicht schlafen können. »Unfall«, hieß es, und »Alkohol«, »Landstraße«. Elena wartete auf »Krankenhaus«, aber das Wort kam nicht und kurz darauf brach Mama in Tränen aus. Da schlich Elena wieder zurück in ihr Bett. Laura würde nicht wiederkommen.
    Allein im Dunkeln weinte sie, bis sie schließlich einschlief. Erst am nächsten Morgen erzählte Mama ihr von Lauras Tod.
    »Wenn uns auch das Fräulein Henn seine geschätzte Aufmerksamkeit schenken könnte, kann ich fortfahren.« Die Stimme ihres Mathelehrers ließ Elena hochfahren. Erschrocken versuchte sie, in den Formeln, die inzwischen die Wandtafel füllten, einen tieferen Sinn zu erkennen. Doch der Lehrer wandte sich wieder seinen Gleichungen zu, als habe er sie nie gerügt. Offensichtlich hatte er beschlossen, sie in Frieden zu lassen. Ärgerlich presste Elena die Lippen aufeinander. Wahrscheinlich wusste er, was in ihr vorging, und versuchte, sie zu schonen. Wieder einer, der ihr nichts zutraute.
    Sie versuchte eine Weile, mitzukommen, dann schweiften ihre Gedanken wieder ab.
    Laura. Nachdenklich fuhr sie mit dem Finger über den Schmetterlingsaufkleber, den ihre Schwester auf ihr Mäppchen geklebt hatte. Laura hatte ständig Schmetterlinge irgendwohin gezeichnet oder geklebt. Es war so etwas wie ihr Markenzeichen gewesen. Sogar ihr Roller war davon bedeckt gewesen.
    Elena erinnerte sich, wie sie gelächelt hatte, bevor sie mit dem Roller losgezogen war. Sie erinnerte sich auch noch daran, dass dieses Lächeln traurig gewirkt hatte, aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein, weil Laura irgendwann danach gestorben war. Auf der gleichen Landstraße wie das fremde Mädchen. Wer sie wohl gewesen war? Und wie war sie umgekommen? Vor ihrem inneren Auge entstand das Bild
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