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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition)
Autoren: Kate Ellison
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aufgetauten Rasenflächen, aus der Erde und den knospenden Pflanzen. Beim Aussteigen ziehe ich meine Winterjacke aus, knülle sie zusammen und halte sie wie ein Serviertablett, das ich dieser ganzen zerbrochenen «auf ewiglich verschwenderischen Heimat Neverland» anbiete. So hat Flynt Neverland genannt, als ich ihn zum ersten Mal traf. Ich erinnere mich immer noch daran, wie er seine Arme wie ein Zauberer ausbreitete, um mir einen exklusiven Blick in den Himmel zu bieten. Aber so ist Flynt – er kann überallhin gehen und es sich dort gemütlich machen, er kann Müll in Kunst verwandeln.
    Ich schlängele mich durch die fleckigen und rauen Straßen, gehe an Flynts Friseursalon vorbei, am Propheten, der an seinem Platz steht und sich wie immer hin und her wiegt. Ich suche in meiner Tasche nach Kleingeld. «Danke», sage ich zu ihm und lasse die Münzen in seinen Hut fallen. Diesmal antwortet er nicht, er lächelt nur und singt weiter.
    Ich laufe zwischen den schmutzigen Gebäuden hindurch und suche nach dem Durchgang mit den Graffiti-Totenköpfen, nach dem tropfenden M, nach dem Jungen mit der Bärenmütze. Und, endlich, in der Ferne, sehe ich ihn – den Durchgang zum Malatesta’s, markiert mit roten X. Mein Herz hüpft, als ich näher komme und den Anbau betrete. Die Tür steht weit offen.
    Flynt hockt auf dem Boden. Seine Arme stecken bis zu den Ellbogen in Farbe und Pappmaché. Gretchen und der große Musiker von der Narnia-Party sind auch da. Sie spielen im hinteren Teil des Raumes auf Ukulelen und singen irgendetwas Schräges, Jaulendes.
    Als er meine Schritte hört, hebt er den Kopf. «Lo!» Er rappelt sich hoch, wischt sich die Hände an den Hosenbeinen ab und schiebt mich wieder hinaus auf die Straße, bevor ich auch nur einen Blick auf sein neustes Werk werfen kann. «Nur eine Übung», erklärt er. «Du musst meine verkommene Erscheinung entschuldigen – ich hatte heute keinen königlichen Besuch erwartet, obwohl … ich natürlich darauf gehofft hatte.» Er lächelt. «Also, wie geht es dir, Lady Lo?»
    «Ich lebe», antworte ich. «Ich finde, das ist schon was.»
    Er nimmt meine Hand und drückt sie. Warm. Die Linien unserer Hände pressen sich aufeinander. Ich ziehe sie nicht zurück.
    «Also», sage ich, «was machst du heute Abend?»
    «Hm … also, abgesehen davon, dass ich meine Rattenarmee auf Washington hetze … nichts.» Er dreht sich zu mir. «Wer will das wissen?»
    «Ich», antworte ich mit fester Stimme, «ich will – ich möchte, dass unser Date heute Abend ist.»
    Er wackelt mit den Augenbrauen und lacht. «Konntest es wohl nicht mehr erwarten, he?»
    «Na ja, eigentlich, heute Abend ist … der Abschlussball.» Ich tippe heimlich in meiner Jacke – schnell – drei Mal links und rechts. «Und ich möchte dich mitnehmen. Als mein Date.» Ich beiße mir auf die Lippe und sehe ihn an. «Weißt du, als Dank dafür, dass du mir mein Leben gerettet hast und so.»
    Er wirkt überrascht, langt nach oben und pflückt ein fleckiges grünes Blatt vom Baum, um es zwischen den Fingern zu drehen. «Bist du sicher?»
    Ich bin nicht sicher. Kein bisschen. Eigentlich bekomme ich schon bei dem Gedanken Magengrimmen, aber ich nicke trotzdem. «Ja, auf jeden Fall, hundertprozentig.»
    «Du bist irre überzeugend, Lo», sagt er und lacht. Dann klingt seine Stimme wieder ernst. «Dir ist klar, dass du mich schon wieder darum bittest, Neverland zu verlassen, und abgesehen von einer Lebensrettungsaktion hin und wieder tue ich das aus Prinzip niemals .»
    Das Herz wird mir schwer.
    «Andererseits», fährt er fort und dreht sich zu mir um, als wir bei dem kaputten alten Vogelbad ankommen, an dem Ort, wo Neverland endet und der Rest der Welt anfängt – «Sag niemals nie.»
    Langsam, fast ängstlich, sieht er mich an, nimmt meine Hand und macht einen winzigen Schritt vorwärts. Und dann noch einen. Einen weiteren Schritt in das große Jenseits.
    «Ein kleiner Schritt für einen Menschen …», sagt er, und seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen.
    «Ein riesiger Sprung für die Menschheit», beende ich den Satz, und wir brechen beide in Lachen aus und umarmen uns. Wir wiegen uns eine Weile miteinander, und ich spüre seine Rückenmuskeln unter seinem Flanellhemd.
    «Sieh uns an», sagt Flynt, und seine Stimme klingt dramatisch – er lässt mich los, um meine Hände zu ergreifen: «Wir sind in der Mitte steckengeblieben und schweben über der Grenze zwischen zwei Welten.»
    «Ich glaube,
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