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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition)
Autoren: Kate Ellison
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weil der Himmel so nahe kommt – so nah war ich dem Himmel noch nie.
    Jetzt sehe ich die leere Schaukel, und das verknotete Gefühl breitet sich in meinem Hals aus.
    Ich stecke die Hände zurück in die Jackentaschen und gehe schnell über die Straße.
    Ich nähere mich der Bushaltestelle. Sie kann nicht weit weg sein, sie muss hier irgendwo sein. Aber als ich um eine Ecke biege und auf die Lourraine Street komme, höre ich plötzlich ein jaulendes Geräusch. Sirenen, die näher kommen. Mein Magen dreht sich um. Jemand muss beobachtet haben, wie ich den Marmorengel genommen habe. Ich zwänge mich in den engen Durchgang neben einem hässlichen gelben Haus und versuche, eins zu werden mit der Dunkelheit hier. Die Fassade des Hauses und die Einfahrt sind mit Gänseblümchen bemalt. Auf der anderen Straßenseite versteckt sich eine schwarze Limousine im Schatten, ihr Motor brummt und surrt. Sitzt da jemand drinnen?
    Direkt über mir ist ein Fenster, und ich spüre den fast unwiderstehlichen Drang hindurchzusehen. Tip tip tip tip tip tip tip tip tip: zwei Mal neun Mal – rechte Hand auf linkem Oberschenkel.
    Das Heulen der Sirenen klingt jetzt näher.
    Ich bewege mich in der Dunkelheit und glaube einen Schrei zu hören, gefolgt von einem dumpfen Schlag. Gleichzeitig bin ich nicht ganz sicher, ob ich mir das nicht nur eingebildet habe. Mein Gehirn spielt mir manchmal Streiche.
    Linke Hand auf rechtem Oberschenkel. Neun Mal, bevor ich nachsehen darf.
    PENG!
    Lautes, ohrenbetäubendes Chaos: Glassplitter, die hinausspritzen wie Wasser aus einem geplatzten Rohr. Mein Körper rollt sich zu einem Ball zusammen. Ich falle auf den Bürgersteig, schürfe mir die Knie auf, drücke den Kopf zwischen die Schenkel. Ein schweres rums rums rums pulsiert durch meinen Körper, ein rauschendes Gefühl, brennende Haut.
    Ich schaue hoch. In die Mauer direkt über mir, nur ein paar Meter entfernt, hat sich etwas hineingebohrt.
    Ich blinzle.
    Eine Kugel.
    ***
    Das Wort flattert durch meinen Kopf. Eine Kugel. Das bedeutet Pistole. Das bedeutet Scheiße oh heilige Scheiße ich bin gerade fast gestorben .
    Ich lehne mich gegen die Hauswand und würge. Keuche. Meine rechte Hand greift instinktiv in meine Jackentasche und fühlt den Engel. Meine Linke blutet. Ich habe es nicht einmal bemerkt. Ich stecke sie in den Mund und versuche, die Blutung zu stillen. Ein winziger Glassplitter schneidet in meine Zunge. Ich spucke ihn auf den Bürgersteig und schmecke Blut. Metallisch.
    Ich muss weg hier. Ich muss mich bewegen .
    PENG. Zum zweiten Mal. Meine Beine stemmen mich aus den Glasscherben und lassen mich durch die Straßen hetzen. Ich renne atemlos und voller Panik. Die Dunkelheit um mich herum wird immer dichter, und die meisten Straßenlaternen sind gesprungen und funktionieren nicht. Fast stolpere ich über einen Obdachlosen mit grauem, verhangenem Blick, der schwankt und stöhnt und etwas Unverständliches murmelt, als ich an ihm vorbeirenne. Ich halte nicht an oder drehe mich um. Ich muss weiterlaufen. Immer noch höre ich die Sirenen von irgendwo, sie sind jetzt hinter mir. Tränen laufen mir über das Gesicht. Es müssen wohl meine sein.
    Irgendwann kann ich nicht mehr und ducke mich hinter ein paar Mülltonnen, um wieder zu Atem zu kommen. Vier Mülltonnen. Zwei mehr, und es wären sechs, eine bessere, reinere Zahl. Vier sieht kalt aus, vier wirkt unvollständig. Vier bedeutet nichts Gutes. Die Luft riecht nach Frost und verfaultem Fisch. Die Schnitte in meiner Hand beginnen zu pochen. Plötzlich geht mir auf, dass derjenige, der die Schüsse abgefeuert hat, mich vielleicht gesehen hat, wie ich durch das Fenster gespäht habe und dann wie verrückt abgezischt bin …
    Und dann höre ich es: ein schleifendes Geräusch. Er ist da. Er ist gekommen, um mich zu holen.
    Mit meinem linken Fuß tippe ich neun Mal gegen die Mülltonne. Neun Mal ist sicher. Neun Mal ist sicher. Und dann muss ich sechs Mal tippen; sechs Mal ist sicher. Nach zwei Mal neun muss sechs kommen. Das ist die ultimative Schutz-Reihenfolge.

    Warum, weiß ich auch nicht, das ist eben so. Das ist so, seit ich sechs Jahre alt und überzeugt davon war, dass ein Monster in meinem Schrank hockte. Neun, neun, sechs bedeutete, dass das Monster verschwand. Ich fahre mit meiner verletzten Hand in meine linke Jackentasche und umfasse die Gegenstände, die ich mit mir herumtrage: zwei 005 Micron-Tintenschreiber mit besonders feiner Spitze, fünf Haarklammern. In meinem Schuh: ein
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