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Schmetterlinge im Gepaeck

Schmetterlinge im Gepaeck

Titel: Schmetterlinge im Gepaeck
Autoren: Stephanie Perkins
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»Sechster Platz?«
    Ich seufze. »Yep.« Im Interview nach ihrem Kurzprogramm war Calliope wortkarg, aber souverän. Ein Profi eben. »Ich bin enttäuscht«, sagte sie, »aber dankbar, dass ich noch eine Chance habe.«
    Â»Schade«, meint Norah.
    Â»Es ist ja noch nicht vorbei«, entgegne ich bissig. »Sie hat noch einen Versuch.«
    Norah sieht mich argwöhnisch an. »Meinst du, das weiß ich nicht? Nichts ist jemals vorbei.«
    Meine Familie, Lindsey und ich sind um den Fernseher versammelt. Alle arbeiten an meinem Marie-Antoinette-Kleid. Es fehlen nur noch ein paar Verzierungen und ich weiß die Hilfe zu schätzen. Gleichzeitig vertreiben wir uns damit die Wartezeit, bis Calliopes Kür beginnt.
    Das Kurzprogramm der Damen war vorgestern Abend. Wir w aren bei dem Desaster von Anfang an dabei, von dem Mome nt an, als die Kamera zu Calliopes Grundstellung schwenkte. Da war etwas in ihren Augen und unter ihrem Lächeln zu erkennen: Angst. Die Musik begann, und es war klar, dass irgendetwas nicht stimmte.
    Es geschah ganz schnell.
    Ihre schwierigsten Abfolgen kamen gleich am Anfang – das ist meistens so, damit eine Eisläuferin noch viel Kraft hat, um sie auszuführen –, und die Kommentatoren waren ganz aus dem Häuschen wegen ihres Dreifachsprungs, den sie bei den Proben nicht geschafft hat.
    Calliope schaffte ihn, aber sie stürzte bei der Kombination.
    Ihr Gesichtsausdruck war – wenn auch nur einen Moment lang, weil sie sich sofort wieder fasste – furchtbar. Die Kommentatoren machten mitleidige Geräusche, als sie tapfer zum anderen Ende der Bahn lief, während es in unserem Wohnzimmer mucksmäuschenstill war. Das Training einer ganzen Saison. Für nichts.
    Und dann stürzte sie noch einmal.
    Â»Das hat nicht nur mit Talent zu tun«, sagte der männliche Kommentator. »Sondern auch mit dem Kopf. Sie konnte die Erwartungen nicht erfüllen, die andere Leute an sie haben, und das macht sich jetzt bemerkbar.«
    Â»Nichts ist eine größere Bürde als das eigene Potenzial«, fügte die Kommentatorin hinzu.
    Doch als hätte Calliope sie gehört und als hätte sie gesagt »Jetzt reicht’s!«, wuchs ihre Entschlossenheit mit jeder Muskeldrehung und jedem schwungvollen Schritt. Sie legte einen zusätzlichen Sprung hin und verdiente sich damit Extrapunkte. Die letzten zwei Drittel ihrer Kür waren fehlerfrei. Es ist nicht unmöglich, dass sie es noch ins olympische Team schafft, aber dafür braucht sie heute Abend unbedingt eine einwandfreie Vorstellung.
    Â»Ich kann gar nicht hinsehen.« Andy legt seinen Zipfel des Marie-Antoinette-Kleids ab. »Was ist, wenn sie sich nicht platziert? In Lolas Kostüm?«
    Das hat mich auch schon beschäftigt, aber ich will Andy nicht noch nervöser machen, als er sowieso schon ist, deshalb antworte ich nur mit einem Achselzucken. »Dann kann ich auch nichts dafür. Ich habe nur das Kostüm genäht. Darin laufen muss sie schon selbst.«
    Auch wir Übrigen legen das Kleid ab, als die Kamera zu Calliopes Trainer Petro Petrov schwenkt, einem älteren Herrn mit weißem Haar und graubärtigem Gesicht. Er spricht mit ihr an der Bande. Sie nickt und nickt und nickt. Dem Kameramann gelingt keine gute Aufnahme ihres Gesichts, aber … ihr Kostüm sieht toll aus.
    Ich bin im Fernsehen! Irgendwie.
    Â»Das hast du an einem einzigen Tag genäht?«, fragt Norah.
    Nathan beugt sich herüber und drückt meinen Arm. »Es ist fantastisch. Ich bin so stolz auf dich.«
    Lindsey grinst. »Vielleicht hättest du auch mein Ballkleid nähen sollen.«
    Wir waren diese Woche shoppen und ich habe das passende Kleid für sie gefunden. Es ist schlicht – ein schmeichelhafter Schnitt für ihre zierliche Figur – und hat die gleiche rote Farbe wie ihre Chucks. Sie und Charlie haben beschlossen, ihre zueinanderpassenden Schuhe anzuziehen.
    Â»Du gehst zum Ball?« Norah ist überrascht. »Ich dachte, du willst mit niemandem zusammen sein.«
    Â»Bin ich ja auch nicht«, entgegnet Lindsey. »Charlie ist nur ein Freund.«
    Â»Ein süßer Freund«, ergänze ich. »Mit dem sie sich regelmäßig trifft.«
    Sie lächelt. »Wir belassen alles auf einer ganz zwanglosen Ebene. Meine Terminplanung in puncto Ausbildung geht vor.«
    Die Kommentatoren fangen an, wieder einmal Calliopes Werdegang durchzukauen.
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