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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt
Autoren: Kristina Dunker
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nicht Leid«, sage ich langsam. »Ich fand’s auch schön.«
    »Ha«, ruft Sandra. »Hör dir das an, Conny! Ich glaub, wir stören hier!«
    Conny guckt mich an, als zweifle sie an meinem Verstand. Dann dreht sie sich ruckartig um und geht mit Sandra auf das Schulgebäude zu.
    Sebastian nimmt vorsichtig meine Hand. »Danke, dass du das gesagt hast.«
    Ich sehe ihn nicht an. Conny und Sandra haben die Eingangstüren erreicht und bleiben bei einer Gruppe Mitschüler stehen. Ihren Gesten entnehme ich, dass sie die Neuigkeit bereits verbreiten.
    »Lachen die jetzt über dich?«, fragt er.
    »Und wenn schon. Das sind doch dumme Puten.«
    Wir schweigen. Ich fühle, wie seine Finger meine streicheln, seine sind kurz und breit, aber mit weicher Haut und sauber gefeilten Nägeln, meine sind lang und dünn, aber fast verborgen unter den vielen Ringen, und die Nägel sind abgekaut, leider.
    Es gongt zur nächsten Stunde. Conny und die anderen verschwinden im Gebäude, der Schulhof leert sich.
    Sebastian seufzt. »Was hast du denn jetzt?«
    »Oh, erinnere mich nicht daran! Französisch! Wir schreiben morgen die letzte Arbeit!«
    »Morgen erst? Es gibt doch nächste Woche Ferien!«
    »Ja, es ist eine Ausnahme. Die Wagner war lange krank. In den anderen Fächern stehen die Noten schon fest. Oh Mann, wenn ich an die Französischarbeit nur denke, wird mir schon schlecht! Ich kann überhaupt nichts, rien du tout!«
    »Na, das war doch schon was!«
    »Ha, ha, sag das mal der Wagner!«
    »Ach, die ist doch gar nicht so schlimm. Ich hatte sie letztes Jahr und ich hab noch die alten Arbeitshefte. Also, wenn du möchtest, können wir uns heute Nachmittag treffen und üben.«
    »Willst du mir etwa Nachhilfe geben?«
    »Hast du mir doch gestern auch.« Er grinst.
    Conny kichert mit vor den Mund gehaltener Hand, als ich mich neben sie setze. Ich habe Lust, sie darauf anzusprechen, aber es geht nicht, denn die Wagner ist bereits da und lässt die Ergebnisse der letzten Stunde wiederholen.
    Also harre ich neben der kichernden Conny aus, so lange, bis die Wagner beschließt, sich ebenfalls gestört zu fühlen, und sie kurzerhand aufruft.
    Conny erschrickt. Sie stammelt etwas, das nur entfernt nach Französisch klingt, und wirft mir plötzlich einen Hilfe suchenden Blick zu, so wie früher, als ich Klassenbeste war.
    »Ich höre nichts, Cornelia«, sagt die Wagner, legt lauschend die Hand an die Ohren und beugt sich, wie um besser hören zu können, über ihr Pult.
    »Il faut que je fasse mes devoirs«, flüstere ich.
    Conny wiederholt es wortwörtlich und die Wagner taxiert uns mit abschätzenden Blicken. Bis vor kurzem wäre sie sofort darauf gekommen, dass ich ihr vorgesagt habe, jetzt ist sie sich nicht mehr so sicher.
    »Na gut«, brummt sie. »Dann erklärt André uns jetzt noch die Regeln des Subjonctif.«
    »Danke«, flüstert Conny und sieht mich verlegen an.
    Diesmal war es Zufall, dass ich die Antwort wusste, denn in den letzten Wochen habe ich nichts mehr für die Schule getan. Davor allerdings war solch eine Situation alltäglich. Ich war so perfekt, wie meine Familie sich mich gewünscht hat, hab jede Pause die selbst geschmierten Butterbrote samt Kakaoflasche von Mama ausgepackt und nie die Schokoriegel und Pommes vom Kiosk verdrückt wie die anderen, als Einzige der Klasse regelmäßig meine Hausaufgaben gemacht und tatsächlich in allen sprachlichen Fächern auf Eins gestanden.
    Außerdem bin ich immer der Liebling aller Lehrer gewesen, jedenfalls der, die öfter bei uns zu Hause sind. Meine Englischlehrerin zum Beispiel macht mit Mama zweimal die Woche Gymnastik und kommt auch so schon mal zum Kaffee vorbei, um sich auszuheulen, wenn ihr Mann mal wieder fremd gegangen ist; mein Chemielehrer war schon mal mit uns im Urlaub, und mein Deutschlehrer ist sowieso Papas bester Freund, denn sie kennen sich noch von der Uni. Klar, dass meine Mitschüler einhellig der Meinung sind, die Pauker würden mich bevorzugen, was wahrscheinlich auch so ist, denn obwohl ich nun schon einige Zeit nicht mehr im Unterricht mitmache, sind meine mündlichen Noten immer noch spitze. Ich bin ja auch immer lieb, wie könnte ich es je wagen, unentschuldigt zu fehlen, Unsinn zu machen, frech zu sein – wenn mein Vater augenblicklich alles, was ich tue, erfährt? Daher habe ich mich vom ersten Tag an in dieser Schule als Fremdkörper gefühlt, ich bin eine, die nicht weiß, auf welcher Seite sie steht. Meine einzige richtig gute Freundin hier ist
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