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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt
Autoren: Kristina Dunker
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Lüge festzuhalten und weiterzuspielen.
    Es gelingt mir zu trinken, obwohl ich lieber weglaufen möchte. Immer verhalte ich mich so, wie die anderen Menschen es von mir erwarten: höflich, freundlich, unauffällig.
    Ich verziehe keine Miene, als sich jemand an mir vorbeidrängt und dabei meine Arme berührt. Ich lächle, als die tiefen Schnittwunden, die ich mir vor wenigen Stunden mit einer Rasierklinge zugefügt habe, wieder anfangen, höllisch zu brennen; ich lächle, während ich spüre, wie ich unter meinem Pulli blute, und ich lächle und stoße noch einmal mit Sebastian an, und als er zum dritten Mal fragt, verrate ich ihm endlich meinen Namen.
    »Pia«, wiederholt er, »schön.«
    »Na, ich weiß nicht. Die meisten Leute nennen mich Püppi.«
    Sebastian verdreht die Augen. »Das passt nicht zu dir. Aber mach dir nichts draus, es gibt Schlimmeres. Mich nennen sie Fleischwurst.«
    Das ist nicht fair. Sebastian hat strahlend blaue, wache Augen, ein knuffiges Grinsen und strohblonde Haare, die ihm keck ins Gesicht fallen. Er sieht nett aus. Schade, dass er so dick ist.
    »Warum nimmst du nicht ab? Ist doch nicht so schwierig.«
    Er streicht sich über den Bauch. »Weiß nicht. Vielleicht irgendwann mal. Jedenfalls nehme ich nicht ab, nur weil andere das von mir verlangen.«
    »Verstehe.« Ich nippe an meinem Sektglas, doch es ist leer.
    »Möchtest du noch?«
    »Mmmh.« Vielleicht geht die Unsicherheit weg.
    Er gießt mir Sekt ein, berührt mit den Fingerspitzen meine Halskette.
    »Die gefällt mir«, sagt er. »Was sind das für Muscheln? Hast du sie selbst gesammelt? Ich bekomme richtig Sehnsucht.«
    »Nein«, ich lächle, »leider nicht. Das sind Exoten aus der Südsee. Eine Tante hat sie mir mitgebracht. Ich bin bisher gerade mal an der Nordsee gewesen.«
    »Sag nichts gegen die Nordsee! Da findet man immerhin Herzmuscheln. Sie sehen aus wie gebrannter Sand, schimmern in allen Ocker-und Brauntönen und liegen schön in der Hand. Kennst du die?«
    Ich nicke, und einen Moment lang blicken wir uns in stummem Einverständnis an, wie zwei Menschen, die schon lange miteinander vertraut sind und über Dinge reden, für die sie eigentlich keine Worte mehr brauchen.
    Dann streicht er langsam und nachdenklich mit der Zeigefingerspitze über den Rand seines Glases. »Mein Vater hat ein Segelboot, damit kreuzen wir in den Sommerferien mit Freunden übers Mittelmeer, von Insel zu Insel, das ist echt toll. In zehn Tagen ist es wieder so weit: sechs Wochen Ausspannen, Baden und Tauchen, na ja … das heißt, Tauchen tut hauptsächlich mein Vater, ich nicht, du kannst dir ja denken, Fett schwimmt oben, aber dafür bin ich letztes Jahr Sieger im Muschelwett essen geworden.«
    »Dein Alter muss ja echt Kohle haben.«
    Das rutscht mir so raus, ich sage es ohne Neid, aber Sebastian wird dennoch verlegen. Wie um es zu überspielen, gießt er mir erneut Sekt ein und sagt: »Wenn du willst, kannst du ja mal auf so einen Segeltörn mitkommen.«
    »Ja, vielleicht.« Ich nicke. Keiner von uns beiden meint es ernst. Nun werden wir noch verlegener, Sebastian starrt auf meine Kette oder sonstwohin, ich kippe den Sekt wie Wasser, blicke in mein schon wieder leeres Glas und spüre, wie der Alkohol anfängt zu wirken.

2 Sebastian
    Manchmal ist er über seine eigene Frechheit überrascht: Er hat das hübsche Mädchen am Buffet tatsächlich angesprochen. Er hat mit ihr geflirtet und sich sogar vorgestellt, er würde sie küssen. Dabei ist sie unerreichbar für ihn, so schlank, wie sie ist.
    Sebastian lässt seinen Blick von ihren haselnussbraunen Augen über den mit Muscheln behängten Hals, den unter dem Sweat-Shirt hervorguckenden BH-Träger bis zu ihren Fingern gleiten, die das Sektglas hin und her drehen. Auch ihre Finger, die halb von den Pulloverärmeln versteckt werden, sind schlank und schön. Silberne Ringe glitzern an ihnen und um einen windet sich eine tätowierte Schlange.
    »Was schaust du?«
    »Ich … hab das Tattoo bewundert.«
    Schüchternes Lächeln, das begleitet wird von Summen.
    »Kennst du das Lied?«
    Er nickt vage. Pia beginnt sich hin und her zu wiegen, sachte, als deute sie einen Tanz an, eine Pantomime, einen Traum. Die Muscheln klackern leise und der Duft ihres Haarshampoos dringt ihm in die Nase. Plötzlich hat er das Gefühl, auf einem schwankenden Boot zu stehen.
    » Romeo and Juliette . Mein Lieblingslied«, sagt Pia.
    »Meins auch.« Das stimmt und stimmt nicht.
    »Wollen wir tanzen?«, fragt sie.
    Das hat
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