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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt
Autoren: Kristina Dunker
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derart aufgewühlt ist, braucht sie ihn dringender denn je.

29 Pia
    Über dem Wasser hängt die Feuchtigkeit in dichten Schwaden, die Ufer sind kaum auszumachen, die Geräusche der Nacht dumpf und spärlich. Der Regen lässt langsam nach, aber das dünne Kleid, das ich für die Party angezogen habe, ist längst nass und klebt auf der Haut.
    Ich habe die Beine angezogen und meine Arme um die Knie geschlungen. Neben mir auf dem Holz des Steges liegt ein scharf gezackter, blanker Kronkorken, und ich brauche ihn nur aufzuheben und an meiner Haut anzusetzen. Dieses Wissen bewahrt mich davor, weiter über die Gleise am anderen Ufer nachzudenken, über die Möglichkeit, auf ihnen entlangzulaufen, bis der nächste Zug kommt, ihm entgegenzugehen und …
    »Pia?«
    Ich drehe mich um. Sebastian hat den Steg betreten, kommt langsam auf mich zu.
    »Wieso bist du gekommen?«, frage ich, und in dem Moment wird mir klar, dass ich nur darauf gewartet habe, dass er herkommt.
    »Du konntest nur hier sein.« Er tritt auf mich zu, ängstlich, mustert meinen Körper.
    »Ich bin okay.«
    »Oh, Gott sei Dank!« Wir umarmen uns, wobei er mich mit Küssen bedeckt und immer wieder murmelt, wie froh und erleichtert er sei.
    »Was haben die anderen gesagt? Suchen sie mich?«
    »Ja, dein Vater und Herr Mallwitz sind zum alten Bahnhof gegangen. Die anderen versuchen wohl irgendwie ihre Party zu Ende zu bringen.«
    »Ich hab ihnen alles versaut.«
    »Quatsch! Das warst ja wohl nicht du!«
    Wir schweigen einen Moment.
    »Jetzt müssten wir ein Segelboot haben«, sage ich leise. »Der Teich hier wäre das Meer …«
    »Und du Frau Kapitän.«
    »Piratin.«
    »Ja.« Pause. »Weißt du noch …«
    »Hmm.«
    »Komm zu mir, Pia.«
    Wir setzen uns beide auf die Bank und er legt seine Stirn an meinen Hals.
    »Ich kann deinen Puls spüren. Außerdem hast du eine Gänsehaut. Kein Wunder bei den nassen Sachen, die du anhast.«
    »Dann wärm mich!«
    Er legt seine Arme um mich. »Mir ist selber eiskalt.«
    »Wenn du meinen Vater und Michael nicht zum kleinen Bahnhof geschickt hättest, könnten wir jetzt dorthin gehen.«
    »Leider nicht. Ich hab ihnen nämlich versprochen, dass ich sie sofort anrufe, wenn ich dich finde.«
    »Das hast du?«, frage ich und spüre, wie mir eine Träne über das Gesicht läuft.
    »Ich musste, Pia. Sie machen sich natürlich Sorgen. Falls ich innerhalb einer Stunde nicht zurück bin, werden sie dich von der Polizei suchen lassen. Dein Vater war ganz schön fertig.«
    »Dafür kann ich doch nichts!«, schimpfe ich und breche gleichzeitig in Tränen aus.
    »Hey.« Sebastian drückt mich und beginnt tröstend über meinen Hinterkopf zu streicheln, was mich nur noch schwächer macht.
    »Was meinst du, was meine Eltern jetzt mit mir machen werden?«
    »Nicht weinen! Sie werden dich schon nicht auffressen, sie werden froh sein, dass du wieder da bist.«
    »Das meine ich doch nicht!«
    »Pia«, sagt er ehrlich, »ich hab keine Ahnung.«
    »In die Klapse geh ich nicht!«
    »So ein Unsinn!«
    »Und zum Seelenklempner auch nicht!«
    »Pia, du weißt doch selbst, dass du richtige Hilfe brauchst. Von jemandem, der sich mit so was auskennt. Das ist nicht schlimm, das ist was ganz Normales. Hey!« Sebastian fasst mich an den Schultern, richtet mich auf und wischt mir die Tränen ab. »Wir machen beide etwas, das uns schwerfällt: du eine Therapie und ich eine Diät. Was meinst du, kann ich’s schaffen, abzuspecken?« Er zwickt sich in den Bauch, knetet seine Speckröllchen und grinst mich an.
    Ich schniefe. »Weiß nicht.«
    »Sicher kann ich das! Und du kannst mit dem Ritzen aufhören. Hör mal, wenn du willst, sind wir wieder zusammen, ja?«
    »Ja.«
    »Und wenn es in diesem Sommer mit dem Segeln nicht klappt, dann ganz sicher im nächsten, okay?«
    »Ja.«
    »Weißt du eigentlich, dass ich wahnsinnig stolz bin, dass du ausgerechnet mir dein Vertrauen geschenkt hast.«
    »Wieso ausgerechnet dir?«
    »Weil ich vorher nie jemandem wirklich wichtig gewesen bin. Ich, die Fleischwurst.«
    Ich antworte nicht, aber er erwartet es auch nicht, sondern beginnt mich zu küssen, nicht nur meine Lippen, sondern meine Wangen, meine Stirn, mein ganzes Gesicht.
    »Alles, was ich mit dir erlebt habe, Pia, war schön. Und ich will, was auch immer jetzt passiert, mit dir zusammenbleiben. Komm! Sie machen sich Sorgen.«

Kristina Dunker

    © Beltz & Gelberg

    Kristina Dunker, geboren 1973, veröffentlichte bereits vor dem Abitur ihren ersten Roman. Sie
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