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Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Titel: Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
Autoren: Tom Piccirilli
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hoffte inständig, dass das Mädchen sie nicht sah.
    Das Eis brach schließlich auf wie eine Falltür und verschluckte den Wagen samt seiner Fahrerin. Sie versanken im Nichts, und gleich darauf rutschte mit einem
erneuten Getöse der gewaltige Eisdeckel fast genau wieder an seinen Platz.
    Und dann kam nichts mehr, absolut nichts.
    Christina Shepard hatte es tatsächlich getan. Dieses irre Biest hatte sich umgebracht und den Rest von ihnen wahrscheinlich auch. Flynn starrte noch einen Moment lang auf das leere Eis, während ihm das Herz gegen die Rippen schlug.
    »Kelly!«, rief er und reckte den Hals nach hinten. »Kelly, ist alles in Ordnung bei dir?«
    »Ich glaube schon«, sagte sie. Er hörte das zitternde Schluchzen in ihrer Stimme.
    Flynn wollte sich abschnallen, aber der verdammte Gurt klemmte. Den hatten sie in der Pointe vergessen. Man überlebt den Zusammenstoß, liegt auf dem Eis, ist seit dem fünfzehnten Lebensjahr ein Spitzenfahrer, und dann wird einem so ein kaputter kleiner Knopf zum Verhängnis.
    Er roch Dannys Zigaretten. Die französische Bulldogge saß auf der Unterseite des Daches und sah ihn an.
    »Meine Tür geht nicht auf«, sagte Flynn zu Kelly. »Kannst du hier rüberklettern und auf der anderen Seite aussteigen?«
    »Nein.«
    »Versuch es.«
    Kelly stieg nach vorn, trat auf die Deckenleuchte und legte sich quer über Nuddin. »Die Tür klemmt!«
    »Kannst du das Fenster runterdrehen?«
    »Wo ist der Knopf?«
    »Das ist ein altes Auto. Du musst es runterkurbeln. Siehst du den Griff?«

    Nuddin streckte die Hand aus und drehte an der Kurbel. Das Fenster glitt halb herunter und zerbrach. Mit einem Ächzen legte sich der Wagen zur Seite.
    »Klettert raus!«, rief Flynn. Kelly bekam Nuddins Gurt zu fassen und ließ ihn mühelos aufspringen. Natürlich. Nuddin schwang sich aus dem Fenster und war nicht mehr zu sehen. »Los, raus! Alle beide!«
    »Wo ist Zero?«
    »Unter mir, er kommt gleich nach.«
    Er hörte Nuddin rufen: Uuhuuh uuhuuh.
    »Da ist Wasser!«, schrie Kelly. »Ich rutsche weg! Das Eis bricht!«
    »Nicht aufstehen! Leg dich flach hin. Kannst du robben?«
    »Es ist kalt, Flynn! Es ist zu kalt!«
    »Du musst zum Anleger robben!«
    »Komm, Zero!«, rief sie.
    Der Hund saß einfach da und wollte nicht gehen. Flynn wusste nicht, was das zu bedeuten hat, aber es fühlte sich an, als stecke etwas dahinter, als habe es eine besondere Bedeutung.
    Er drehte den Hals, so weit es ging, und sah im Rückspiegel Nuddin und Kelly über das brechende Eis auf den Anleger zukriechen. Dort waren jetzt Lichter zu sehen. Die Silhouetten von Menschen.
    Er zerrte an seinem Gurt. Der Charger bewegte sich wieder ein Stück. Die vordere Stoßstange tauchte ins Wasser.
    »Himmel«, flüsterte er. Die Angst, die er so verzweifelt zurückgehalten hatte, ergriff ihn, während das Eis weiter aufbrach. Es klang wie eine Lawine. Der Wagen
rutschte vor und sank dann ins Wasser hinab. Flynn hatte das Gefühl, einen Purzelbaum zu schlagen. Der Hund plumpste ihm rückwärts ins Gesicht. Fünfundneunzig Sekunden noch.
    Das eisige Wasser brach herein und mit ihm die unerträgliche Kälte und der zermalmende Druck einer Dunkelheit, die er immer gekannt, aber nie selbst erlebt hatte. Jeder einzelne Nerv brannte auf einmal, und dann war da nur noch eine irrsinnige Taubheit. Das unfassbare Grauen wich schon bald einem Gefühl von Behaglichkeit. Er hatte noch einen letzten Atemzug und fragte sich, wozu. Zero sah ihm in die Augen, während das Wasser stieg und sein Gesicht bedeckte und ihm Blasen aus der Nase platzten. Der Hund knurrte, als wollte er sagen, Scheiß drauf, jetzt kratzen wir ab. Wir sind tot .
    Flynn sah, wie die Straße in die Nacht sich unter ihm öffnete, und stieß unter Wasser ein irres Lachen aus, was ihn das letzte bisschen Sauerstoff kostete. Weit unter sich sah er seinen Bruder Danny lächeln, mit einer Zigarette zwischen den Lippen. Himmel Herrgott, dachte Flynn, ich bin. Ich bin wirklich. Ich bin kurz davor zu …
    Aus.

2
    Die Möglichkeit zu atmen.
    Die Aussicht auf Bewegung.
    Ein Riss in der Dunkelheit.
    Ein warmes, pulsierendes Licht, in unerreichbarer Ferne.
    Das Erwachen war die reine Hölle, ohne einen Gedanken, ohne Verstand, ohne Identität. Übrig blieb allein eine menschliche Regung, die sich wie ein Ölteppich entlang der Straße in die Nacht ausbreitete.
    Vielleicht war es Angst. Vielleicht Hass, vielleicht Reue oder Schuld. Es war so rein, dass man es nicht zu fassen bekam.
    Langsam wurde
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