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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm
Autoren: Kurt Tucholsky
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möchtest du denn?“ Das Kind hatte ein paar-
    mal vor sich hingedruckst, hatte angesetzt und wieder ab-
    gesetzt. „Na?“ — Nein, aufs Töpfchen mußte sie nicht. Sie
    wollte etwas fragen. Und tat es.
    „Sind Sie Landstreicher?“ Wir sahen uns entgeistert an.
    „Die Frau Adriani hat gesagt …“ Es stellte sich heraus, daß
    die Frau Adriani uns dem Kind als passionierte, ja als pro-
    fessionelle Landstreicher hingestellt hatte — „diese Land-
    streicher da draußen, die nicht mal verheiratet sind!“ — und
    das Kind, das jetzt völlig aufgetaut war, wollte nun alles
    wissen; ob wir Landstreicher wären, und was wir denn da
    anstrichen … und ob wir schon mal verheiratet gewesen
    wären und warum nun nicht mehr, und dann mußte es
    aufs Töpfchen, und dann brachten wir es zu Bett. Ich er-
    tappte mich dabei, ein wenig eifersüchtig auf das Kind ge-
    wesen zu sein. Wer war hier Kind? Ich war hier Kind. Nun
    aber schlief es, und Lydia gehörte mir wieder allein.
    „Bist du verheiratet?“ fragte die Prinzessin. „Na, das hat
    noch gefehlt!“ — „Alte“, sagte ich. „Nein, wir Landstrei-
    cher, wir sind ja nicht verheiratet. Und wenn wir es wä-
    ren … Fünf Wochen, das ginge gut, wie? Ohne ein Wölk-
    chen. Kein Krach, keine Proppleme, keine Geschichten.
    Fünf Wochen sind nicht fünf Jahre. Wo sind unsre Küm-
    mernisse?“ — „Wir haben sie in der Gepäckaufbewah-
    rungsstelle abgegeben … das kann man machen“, sagte die
    Prinzessin. „Für fünf Wochen“, sagte ich. „Für fünf Wo-
    chen geht manches gut, da geht alles gut.“ Ja … vertraut,
    aber nicht gelangweilt; neu und doch nicht zu neu — frisch
    und doch nicht ungewohnt: scheinbar unverändert lief das
    Leben dahin … Die Hitze der ersten Tage war vorbei, und
    die Lauheit der langen Jahre war noch nicht da. Haben wir
    Angst vor dem Gefühl? Manchmal, vor seiner Form. Kur-
    zes Glück kann jeder. Und kurzes Glück: es ist wohl kein
    andres denkbar, hienieden.
    Wir rollten in Trälleborg ein. Es war spät abends; die
    weißen Bogenlampen schaukelten im Winde, und wir sa-
    hen zu, wie der Wagen auf die Fähre geschoben wurde.
    Das Kind schlief schon.
    Ein großer Passagierdampfer rauschte durch das Wasser
    in den Hafen. Alle Lichter funkelten: vorn die Schiffslater-
    nen, oben an den Masten kleine Pünktchen, alle Kammern,
    alle Kajüten waren hell erleuchtet. Er fuhr dahin. Musik
    wehte herüber.
    Whatever you do —
    my heart will still belong to you —
    Eine Welle Sehnsucht schlug in unsre Herzen. Frem-
    des erleuchtetes Glück — da fuhr es hin. Und wir wußten:
    säßen wir auf jenem Dampfer und sähen den erleuchteten
    Zug auf der Fähre, wir dächten wiederum — : da fährt es
    hin, das Glück. Bunt und glitzernd fuhr das große Schiff
    an uns vorüber, mit den Lichtpünktchen an seinen Masten.
    Die schwitzenden Stewards sahen wir nicht, nicht die Ree-
    der in ihren Büros, nicht den zänkischen Kapitän und den
    magenkranken Zahlmeister … natürlich wußten wir, daß
    es so etwas gibt — aber wir wollten es jetzt, in diesem ei-
    nen Augenblick, nicht wissen.
    Whatever you do —
    my heart will still belong to you —
    Unsere Herzen fuhren ein Stückchen mit.
    Dann stand unser Wagen auf der Fähre. Das Schiff erzit-
    terte leise. Die Lichter an der Küste wurden immer kleiner
    und kleiner, dann versanken sie in der blauen Nachtluft.
    Wir standen an Deck. Die Prinzessin sog den salzigen
    Atem des Meeres ein. „Daddy — ich bedanke mich auch
    schön für diesen Sommer!“ — „Nein, Alte — ich bedanke
    mich bei dir!“ Sie sah über die dunkle See. „Das Meer …“
    sagte sie leise, „das Meer …“ Hinter uns lag Schweden,
    Schweden und ein Sommer.
    Später saßen wir im Speisesaal in einer Ecke und aßen
    und tranken. „Auf den Urlaub, Alte!“ — „Auf was noch?“
    „Auf Karlchen!“ — „Hoch!“
    „Auf Billie!“ — „Hoch!“
    „Auf die Adriani!“ — „Nieder!“
    „Auf deinen Generalkonsul!“ — „Mittelhoch!“
    „Das sind alles keine Trinksprüche, Daddy. Weißt du
    keinen andern? Du weißt einen andern. Na?“
    Ich wußte, was sie meinte.
    „Martje Flor“, sagte ich. „Martje Flor!“
    Das war jene friesische Bauerntochter gewesen, die im
    Dreißigjährigen Kriege von den Landsknechten an den
    Tisch gezerrt wurde; sie hatten alles ausgeräubert, den
    Weinkeller und die Räucherkammer, die Obstbretter und
    den Wäscheschrank, und der Bauer stand daneben und
    rang die
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