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Schloß Gripsholm

Schloß Gripsholm

Titel: Schloß Gripsholm
Autoren: Kurt Tucholsky
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Das Stück war aus.
    Langsam gingen wir aus dem Hause, in dem das Kind
    so viel gelitten hatte.
    Keiner von uns sah mehr zurück. Die Haustür wurde
    geschlossen.
    2
    Der letzte Urlaubstag …
    Ich bin schon für die Reise angezogen, zwischen mir
    und dem Mälarsee ist eine leise Fremdheit, wir sagen wie-
    der Sie zueinander.
    Die langen Stunden, in denen nichts geschah; nur der
    Wind fächelte über meinen Körper — die Sonne beschien
    mich … Die langen Stunden, in denen der verschleierte
    Blick ins Wasser sah, die Blätter zischelten und der See
    plitschte ans Ufer; leere Stunden, in denen sich Energie,
    Verstand, Kraft und Gesundheit aus dem Reservoir des
    Nichts, aus jenem geheimnisvollen Lager ergänzten, das
    eines Tages leer sein wird. „Ja,“ wird dann der Lagermei-
    ster sagen, „nun haben wir gar nichts mehr …“ Und dann
    werde ich mich wohl hinlegen müssen.
    Da steht Gripsholm. Warum bleiben wir eigentlich
    nicht immer hier? Man könnte sich zum Beispiel für lange
    Zeit hier einmieten, einen Vertrag mit der Schloßdame ma-
    chen, das wäre bestimmt gar nicht so teuer, und dann für
    immer: blaue Luft, graue Luft, Sonne, Meeresatem, Fische
    und Grog — ewiger, ewiger Urlaub.
    Nein, damit ist es nichts. Wenn man umzieht, ziehen
    die Sorgen nach. Ist man vier Wochen da, lacht man über
    alles — auch über die kleinen Unannehmlichkeiten. Sie
    gehen dich so schön nichts an. Ist man aber für immer da,
    dann muß man teilnehmen. „Schön habt ihr es hier“, sagte
    einst Karl der Fünfte zu einem Prior, dessen Kloster er be-
    suchte. „Transeuntibus!“ erwiderte der Prior. „Schön? Ja,
    für die Vorübergehenden.“
    Letzter Tag. So erfrischend ist das Bad in allen den Wo-
    chen nicht gewesen. So lau hat der Wind nie geweht. So
    hell hat die Sonne nie geschienen. Nicht wie an diesem
    letzten Tag. Letzter Tag des Urlaubs — letzter Tag in der
    Sommerfrische! Letzter Schluck vom roten Wein, letzter
    Tag der Liebe! Noch einen Tag, noch einen Schluck, noch
    eine Stunde! Noch eine halbe …! Wenn es am besten
    schmeckt, soll man aufhören. „Heute ist heute“, sagte die
    Prinzessin — denn nun stand alles zur Abfahrt bereit: Kof-
    fer, Handtaschen, der Dackel, der kleine Gegenstand und
    wir. „Du siehst aus!“ sagte Lydia, während wir gingen, um
    uns von der Schloßfrau zu verabschieden, „du hast dir je
    woll mitn Reibeisen rasiert! Keinen Momang kann man
    den Jung allein lassen!“ Ich rieb verschämt mein Kinn, zog
    den Spiegel und steckte ihn schnell wieder weg.
    Großes Palaver mit der Schloßfrau. „Tack … danke …“
    und: „Herzlichen Dank! … Tack so mycket …“ und „Alles
    Gute!“ — es war ein bewegtes und freundliches Hin und
    Her. Und dann nahmen wir Ada an die Hand, jeder griff
    nach einer Tasche, da stand der kleine Motorwagen …
    Ab.
    „Urlaub jok“, sagte ich. Jok ist türkisch und heißt: weg.
    „Du merkst auch alles“, sagte die Prinzessin und kämmte
    das Kind. „Lydia, ich hätte nie geglaubt, daß du so eine
    nette Kindermama abgeben kannst! Sieh mal an — was
    alles in dir steckt!“ — „Ich bin Sie nämlich eine Zwiebel!“
    sagte die Prinzessin und enthüllte damit, vielleicht ohne es
    zu wissen, das Wesen aller ihrer Geschlechtsgenossinnen.
    Und dann fing das Kind langsam, ganz langsam und
    stockend, an, zu erzählen — wir drängten es nicht, erst
    wollte es überhaupt nicht sprechen, dann aber sprach es
    sich frei, man merkte, es wollte erzählen, es wollte alles
    sagen, und es sagte alles:
    Den Krach mit Lisa Wedigen und das Blatt vom Kalen-
    der; die dauernden Strafen und die Glockenblumen unter
    dem Kopfkissen und sein Spitzname ‚Das Kind ‘; der kleine
    Will und Mutti und was der Teufelsbraten sich alles ausge-
    dacht hatte, um die Mädchen zu tyrannisieren, und Hanne
    und Gertie und das Essen im Schrank und alles.
    Es ging ein bißchen durcheinander, aber man verstand
    doch, worauf es ankam. Und ich nannte den kleinen Ge-
    genstand nunmehr Ada Durcheinander, und die Prinzessin
    bemutterte und bevaterte das Kind zu gleicher Zeit, und
    ich schlug vor, sie solle dem Kind die Brust geben, und
    dann brach ein wilder Streit darüber aus, welche: die linke
    oder die rechte. Und so kamen wir nach Stockholm.
    Und fuhren zurück nach Deutschland.
    Berlin streckte die Riesenarme und langte über die
    See … „Wir müssen der Frau Kremser telegrafieren,“ sagte
    die Prinzessin, „sicher ist sicher. Junge, haben wir uns gut
    erholt! Was
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