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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas
Autoren: Jeanette Walls
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Land im Wert von einer Million Dollar?« Ich war wie vom Blitz getroffen. All die Jahre in Welch ohne genug zu essen, ohne Kohlen, ohne fließendes Wasser im Haus - und Mom hatte die ganze Zeit Land besessen, das eine Million Dollar wert war? Waren all die Jahre und auch die lange Zeit, die Mom und Dad sich auf der Straße rumgetrieben hatten - ganz zu schweigen von ihrem derzeitigen Leben in einer besetzten Wohnung -, nur eine Laune gewesen, die Mom uns zugemutet hatte? Hätte sie unsere finanziellen Probleme durch den Verkauf des Landes, das sie ja nie gesehen hatte, aus der Welt schaffen können? Aber sie wich meinen Fragen aus, und ich begriff, dass es für Mom keine Investitionsstrategie war, das Land zu behalten, sondern vielmehr eine Glaubensfrage, eine für sie unbestreitbare Wahrheit, die sie so tief empfand und so wenig in Zweifel zog wie ihren Katholizismus. Und ich bekam ums Verrecken nicht aus ihr heraus, wie viel dieses Land wert war.
    »Ich hab doch gesagt, dass ich es nicht weiß«, sagte sie.
    »Dann sag mir, wie viel Hektar es sind und wo genau es
    liegt, und ich erkundige mich, was ein Hektar Land in der Gegend kostet.« Es ging mir nicht um ihr Geld, ich wollte - ja, ich musste - einfach die Antwort auf meine Frage herausfinden: Wie viel war das verdammte Stück Land wert? Vielleicht kannte sie den Wert des Landes ja wirklich nicht. Vielleicht hatte sie Angst davor, es zu erfahren. Vielleicht hatte sie Angst davor, was wir alle denken würden, wenn wir es wussten. Doch statt mir zu antworten, wiederholte sie immer nur, dass es wichtig sei, Onkel Jims Land - Land, das schon ihrem Vater und dessen Vater und dessen Vater gehört hatte - in der Familie zu behalten, und dass ich mir das Geld bei meinem Mann leihen müsse.
    »Mom, ich kann Eric nicht um eine Million Dollar bitten.«
    »Jeannette, ich habe dich nicht oft um einen Gefallen gebeten, aber jetzt bitte ich dich um einen. Ich würde es nicht tun, wenn es nicht wichtig wäre. Aber es ist wichtig.«
    Ich sagte Mom, Eric würde mir bestimmt nicht eine Million Dollar leihen, um irgendein Stück Land in Texas zu kaufen, aber selbst wenn, würde ich es mir nicht von ihm leihen. »Es ist zu viel Geld«, sagte ich. »Was sollte ich überhaupt mit dem Land anfangen?«
    »Es in der Familie behalten.«
    »Ich begreife einfach nicht, dass du mich darum bittest«, sagte ich. »Ich hab das Land doch noch nie gesehen.«
    »Jeannette«, sagte Mom, als sie schließlich einsehen musste, dass es nicht so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte, »ich bin zutiefst von dir enttäuscht.«
    Lori arbeitete jetzt als freiberufliche Künstlerin und hatte sich auf Fantasy spezialisiert. Sie illustrierte Kalender, Brettspiele und Buchumschläge. Brian hatte gleich nach seinem zwanzigsten Geburtstag bei der Polizei ar gefangen. Dad konnte nicht begreifen, was er bei der Erziehung falsch gemacht hatte, dass sein Sohn nun Mitglied der Gestapo wurde. Aber ich war furchtbar stolz auf meinen Bruder, als ich ihn bei seiner Vereidigung in der marineblauen Uniform mit den funkelnden Messingknöpfen in gerader Haltung zwischen den neuen Beamten stehen sah.
    Maureen hatte inzwischen die Highschool abgeschlossen und schrieb sich an einem New Yorker College ein, aber sie gab sich keine große Mühe und zog schließlich zu Mom und Dad. Hin und wieder jobbte sie als Barkeeperin oder Kellnerin, hielt aber nie lange durch. Seit ihrer Kindheit war sie auf der Suche nach jemandem, der ihr Geborgenheit gab. In Welch hatten die Pfingstler in unserer Nachbarschaft sie unter ihre Fittiche genommen, und jetzt in New York fand sie mit ihren langen blonden Haaren und den großen blauen Augen etliche Männer, die sich gern um sie kümmerten.
    Doch ihre Beziehungen hielten auch nicht länger als ihre Jobs. Sie sprach davon, nach dem College vielleicht Jura zu studieren, aber sie kam immer wieder davon ab. Je länger sie bei Mom und Dad wohnte, desto mehr zog sie sich zurück, und nach einer Weile hockte sie fast nur noch zu Hause, rauchte wie ein Schlot, las Romane und malte ab und zu ein Aktbild von sich. Die Zweizimmerwohnung war viel zu eng, und Maureen und Dad bekamen oft heftigen Streit. Maureen beschimpfte Dad dann als nichtsnutzigen Säufer, und Dad
    nannte Maureen das kränkste und mickrigste Hündchen im ganzen Wurf, das er nach der Geburt gleich hätte ertränken sollen.
    Irgendwann hörte Maureen auch mit dem Lesen auf. Sie schlief den ganzen Tag und verließ die Wohnung nur, um
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