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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas
Autoren: Jeanette Walls
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die Narbe bedeutete, dass ich stärker sei als das, was mir hatte Schaden zufügen wollen, was immer es auch war.
    Wir bogen in unsere Einfahrt. Jessica, Johns fünfzehnjährige Tochter aus erster Ehe, kam aus dem Haus, zusammen mit Brian und seiner achtjährigen Tochter Veronica sowie seinem
    Bullmastiff Charlie. Auch Brian hatte Mom seit Dads Beerdigung nicht oft gesehen. Er umarmte sie und frotzelte gleich über ihre Sperrmüllgeschenke, die sie in den Einkaufstüten mitgebracht hatte: angerostetes Silberzeug, alte Bücher und Zeitschriften, ein paar nur leicht angeschlagene Stücke feinen Porzellans aus den zwanziger Jahren.
    Brian war zum Detective Sergeant befördert worden und leitete eine Sonderkommission für organisiertes Verbrechen. Er und seine Frau hatten sich etwa zur selben Zeit getrennt wie Eric und ich, aber er hatte sich zum Trost ein ?ltes Stadthaus in Brooklyn gekauft, das er von Grund auf renovierte, alles in Eigenarbeit. Es war schon die dritte Bruchbude, die er in ein Schmuckkästchen verwandelte. Außerdem waren mindestens zwei Frauen mit ernsten Absichten hinter ihm her. Es ging ihm richtig gut.
    Wir zeigten Mom und Lori den Garten, der schon winterfertig war. John und ich hatten alle Arbeiten selbst erledigt: das Laub zusammengeharkt und im Shredder zerkleinert, die mehrjährigen Pflanzen zurückgeschnitten und die Beete gemulcht, den Gemüsegarten mit Kompost gedüngt und umgegraben, die Dahlienzwiebeln aus der Erde geholt und in einem Eimer mit Sand im Keller gelagert. John hatte auch das Holz eines abgestorbenen Ahornbaums, den wir gefällt hatten, klein gehackt und gestapelt und war sogar aufs Dach geklettert, um angemoderte Zedernschindeln zu ersetzen.
    Mom nickte, als sie das alles hörte. Sie hatte schon immer ein Faible für Leute gehabt, die sich selbst zu helfen wussten. Sie bestaunte die Glyzinie, die sich am Schuppen hochrankte, die Klettertrompeten am Spalier und den Bambushain hinten im Garten. Als sie den Swimmingpool sah, lief sie spontan auf die grüne Gummiabdeckung, um deren Stabilität zu prüfen, Charlie, der Hund, hinterdrein. Die Abdeckung gab unter ihr nach, und sie fiel kreischend vor Lachen hin. John und Brian müssten sie herunterziehen, ein Schauspiel, das Brians Tochter Veronica, die noch ganz klein gewesen war, als sie Mom zuletzt gesehen hatte, mit großen Augen verfolgte.
    »Grandma Walls ist wohl anders als deine andere Grandma«, sagte ich zu ihr.
    »Und wie«, sagte Veronica.
    Johns Tochter Jessica sagte zu mir: »Aber sie lacht genau wie du.«
    Ich führte Mom und Lori durchs Haus. Noch immer fuhr ich einmal die Woche nach New York in die Redaktion, aber hier war der Ort, wo John und ich lebten und arbeiteten, unser Zuhause - das erste Haus, das mir gehörte. Mom und Lori bewunderten die breiten Dielenbretter, den großen offenen Kamin und die Deckenbalken aus Robinienholz mit Kerben von der Axt, die die Bäume gefällt hatte. Moms Blick blieb an einer Ottomane mit geschnitzten Beinen und einer hölzernen Rückenlehne mit eingelegten Perlmuttdreiecken hängen, die wir auf dem Flohmarkt gekauft hatten. Sie nickte beifällig. »In jeden Haushalt«, sagte sie, »gehört ein Möbelstück, das so richtig geschmacklos ist.«
    Die Küche duftete nach dem gebratenen Truthahn, den John mit einer Füllung aus Wurst, Pilzen, Walnüssen, Äpfeln und gewürztem Paniermehl zubereitet hatte. Er hatte auch Zwiebeln in Sahnesauce, Wildreis, Preiselbeersauce und Kürbissuppe gemacht, und ich hatte mit Äpfeln aus einem benachbarten Obstgarten drei Kuchen gebacken.
    »Schlaraffenland«, rief Brian.
    »Mahlzeit!«, sagte ich zu ihm.
    Er sah sich die Speisen an. Ich wusste, was er dachte, was er jedes Mal dachte, wenn er ein so fürstliches Mahl sah. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich mein, so schwer ist es doch wirklich nicht, was zu essen auf den Tisch zu bringen, wenn man es wirklich will.«
    »Jetzt keine Vorwürfe«, ermahnte Lori ihn.
    Mom teilte uns ihre gute Nachricht mit. Sie war seit fünfzehn Jahren Hausbesetzerin, und endlich hatte die Stadt beschlossen, die Wohnungen an sie und die übrigen Besetzer für einen Dollar das Stück zu verkaufen. Sie könne unsere Einladung, eine Weile zu bleiben, nicht annehmen, sagte sie, weil sie zu einer Versammlung der Hausbesetzer müsse. Mom erzählte auch, sie habe Kontakt zu Maureen, die noch immer in Kalifornien lebte, und dass meine kleine Schwester, mit der ich seit ihrer Abreise aus New York nicht mehr gesprochen
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