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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen
Autoren: John Verdon
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ins Haus verirrt hat. Sie summen herum und krabbeln über die Decke. Bsss. Sie schauen sich um. Bsss. Aber Sie begreifen nichts. Bsss. Und dann, klatsch! Das ganze Gesumm umsonst. Das Suchen und Wühlen – alles umsonst. Weil Sie einfach nicht verstehen, was Sie sehen. Wie könnten Sie auch? Sie sind ja nur eine Fliege.« Er gluckste lautlos.
    Gurney wusste, dass es das strategische Gebot der Stunde war, die Dinge hinauszuzögern. Wenn Ashton tatsächlich der Mörder war, ging es wie immer in solchen Situationen um einen psychologischen Wettstreit, der auf Überlegenheit und emotionale Kontrolle abzielte. Damit stand Gurney vor der Aufgabe, seinen Gegner in dieses Spiel zu verwickeln und es in die Länge zu ziehen, bis sich die Chance bot, das Spiel zu beenden. Lächelnd lehnte er sich zurück. »Nur dass die Fliege in diesem Fall richtigliegt, nicht wahr, Ashton? Sonst hätten sie ja wohl kaum die Pistole in der Hand.«
    Ashtons Lachen brach ab. »Richtig? Das deduktive Genie bildet sich was darauf ein, richtigzuliegen? Nachdem ich Ihnen so viele Hinweise gegeben habe? Das Verschwinden mehrerer Absolventinnen, der Auto-Streit, das Erscheinen der jungen Damen in den Anzeigen von Karnala. Wenn ich nicht der Versuchung nachgegeben hätte, Sie zu ködern – damit es ein bisschen spannender wird –, dann wären Sie keinen Schritt weitergekommen als Ihre schwachsinnigen Kollegen.«
    Jetzt war es Gurney, der lachte. »Spannung war bestimmt nicht der Grund. Sie wussten doch genau, dass wir als Nächstes mit ehemaligen Schülerinnen reden und dann sofort auf diese Tatsachen stoßen würden. Sie haben uns also nichts verraten, das wir nicht in ein oder zwei Tagen selbst rausgefunden hätten. Ein kläglicher Versuch, unser Vertrauen mit Informationen zu kaufen, die Sie nicht mehr verheimlichen konnten.« Gurney registrierte Ashtons starres Bemühen um Gleichmut und war überzeugt, voll ins Schwarze getroffen zu haben. Doch manchmal konnte es bei solchen Konfrontationen passieren, dass ein Volltreffer zum Bumerang wurde.
    Und Ashtons nächste Worte weckten den bösen Verdacht in ihm, dass dies auch hier der Fall war. »Es hat keinen Sinn, weiter Zeit zu verschwenden. Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Ich möchte Ihnen zeigen, wie die Geschichte endet.« Er stand auf und zerrte mit der freien Hand den Stuhl zu einer Stelle nahe der offenen Bürotür, die mit der Position des Flachbildschirms auf der Kommode und der beiden Stühle, auf denen Gurney und Hardwick saßen, ein Dreieck bildete. So stand er mit dem Rücken zur Tür und konnte zugleich den Monitor und sie im Auge behalten.
    »Schauen Sie nicht mich an.« Ashton deutete zum Computer. »Schauen Sie auf den Bildschirm. Reality- TV . Mapleshade: Die letzte Folge . Es ist nicht das Finale, das ich mir vorgestellt habe, aber bei Reality- TV muss man flexibel sein. Sitzen Sie gut? Schön. Die Kamera läuft, die Handlung hat begonnen, nur ein bisschen mehr Licht brauchen wir noch da unten.« Er nahm die kleine elektronische Fernbedienung aus der Tasche und drückte auf einen Knopf.
    In der Kapelle sprangen Wandleuchter an und tauchten den Raum in helles Licht. Das Stimmengewirr wurde kurz unterbrochen, als sich die Mädchen in den Diskussionsgruppen nach den Lampen umblickten.
    »So ist es besser.« Zufrieden betrachtete Ashton die Szenerie auf dem Monitor. »Im Hinblick auf Ihren Beitrag, Detective Gurney, möchte ich ganz sicher sein, dass Sie alles deutlich sehen können.«
    Welcher Beitrag?
    Statt die Frage auszusprechen, legte sich Gurney die Hand vor den Mund und erstickte ein Gähnen.
    Ashton bedachte ihn mit einem kühlen Blick. »Ihnen wird die Langeweile bald vergehen.« Eine Welle winziger Ticks wanderte über sein Gesicht. »Sie sind ein gebildeter Mann, Detective. Wissen Sie, was der mittelalterliche Begriff ›condigna reparatio‹ bedeutet?«
    Seltsamerweise wusste er es. Aus einem Philosophiekurs am College. Condigna reparatio: eine Strafe, die einen vollkommenen Ausgleich zu einem Verstoß schafft. Eine ideal angemessene Sühne. »Ja, der Begriff ist mir bekannt.«
    In Ashtons Augen blitzte ein Hauch von Überraschung auf.
    Plötzlich bemerkte Gurney ganz am Rand seines Blickfelds etwas anderes – eine schnelle, schattenhafte Bewegung. Ein Teil von einem Kleidungsstück, ein Ärmel vielleicht? Was es auch war, es war bereits in einer Nische auf dem Treppenabsatz verschwunden, gleich hinter der Bürotür, wo für einen Menschen kaum genug Platz zum Stehen
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