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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien
Autoren: Minette Walters
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noch einmal davongekommen ist.«
    Sam, dessen Gedächtnis für Gesichter beinahe so schlecht war wie sein Namensgedächtnis, knöpfte sein Hemd zu und sandte einen gereizten Blick in meine Richtung. »Lächerlich!«, sagte er. »Ich habe meiner Frau gesagt, ich würde einen Arzt aufsuchen, aber sie wollte mich nicht weglassen. Sie behandelt mich wie einen armen Invaliden.«
    »Den ganzen Morgen regt er sich schon auf«, sagte ich zu Dr. Arnold. »Das war einer der Gründe, warum ich fürchtete, es könnte etwas Ernstes sein.«
    »Herrgott noch mal!«, fuhr Sam mich an. »Was ist eigentlich los mit dir? Ich habe nichts weiter gesagt, als dass es mich an der Seite ein bisschen zwickt, ist das vielleicht ein Wunder bei dem Haufen Unkraut, den ich gestern rausgezogen habe? Der Garten ist die reinste Wildnis, das Haus ist eine Bruchbude. Was erwartest du von mir? Dass ich mich hinsetze und Däumchen drehe?«
    Dr. Arnold bemühte sich, die Wogen zu glätten. »Sie sollten froh sein, dass Sie Ihrer Frau noch so wichtig sind, dass sie den Arzt ruft«, sagte sie und lachte. »Ich hatte einmal einen Patienten, den hat seine Frau ungerührt in der Küche liegen gelassen, wo er sich vor Schmerzen wand, während sie eine halbe Flasche Gin kippte, um ihre bevorstehende Witwenschaft zu feiern.«
    Sam war nicht der Typ, der lange grollte. »Hat er überlebt?«, erkundigte er sich mit einem Lächeln.
    »Mit knapper Not. Aber die Ehe nicht.« Sie musterte einen Moment lang sein Gesicht, dann richtete sie ihren Blick forschend auf mich. »Sie kommen mir beide so bekannt vor, aber ich habe keine Ahnung, wieso.«
    »Ich habe Sie gleich erkannt, als Sie hereinkamen«, sagte ich. »Es ist wirklich ein verrückter Zufall. Sie waren in Richmond unsere Ärztin. Wir haben von 76 bis Anfang 79 in der Graham Road gewohnt. Sie waren einmal bei uns, als Sam eine Bronchitis hatte.«
    Sie nickte sofort. »Mrs. Ranelagh! Natürlich! Der Name hätte mir gleich etwas sagen müssen. Sie haben doch damals Annie Butts gefunden, nicht? Ich habe hin und wieder einmal an Sie gedacht und mich gefragt, was aus Ihnen geworden ist.«
    Ich ließ meinen Blick wie beiläufig von ihr zu Sam wandern und sah mit Erleichterung nur Überraschung in ihren Gesichtern, keinerlei Spur von Argwohn...

    Sam gelang es, einen Posten als Verkaufsdirektor einer internationalen Spedition zu bekommen, der uns im Lauf der Jahre nacheinander nach Hongkong, Australien und Südafrika führte. Es waren gute Jahre, und ich begann zu begreifen, warum die schwarzen Schafe einer Familie so häufig zu einem Neuanfang ins Ausland geschickt werden. Es fördert die Entwicklung des Charakters ungemein, die emotionalen Bande zu durchtrennen, die einen an Ort und Menschen fesseln. Wir setzten zwei Söhne in die Welt, die im nie versiegenden Sonnenschein wie junge Bäume in die Höhe schossen und bald ihre Eltern überragten, und ich schaffte es, stets an der Schule eine Anstellung zu finden, die sie gerade besuchten.
    Wir hielten uns, wie das in der Natur des Menschen liegt, für unsterblich. Sams lebensgefährliche Erkrankung im Alter von 52 Jahren traf uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sein Arzt warnte, dass mit einem zweiten Infarkt gerechnet werden müsse, wenn Sam sein Leben – zu viele Reisen, zu viele Arbeitsessen und zu wenig körperliche Bewegung – nicht drastisch ändere, und so kehrten wir im Sommer 1999 ohne berufliche Verpflichtungen und mit zwei spätpubertären Jungen, die ihr Heimatland nie gesehen hatten, nach England zurück.
    Aus keinem besonderen Grund, außer dass wir 1976 unsere Flitterwochen in Dorset verbracht hatten, beschlossen wir, ein altes Bauernhaus in der Nähe von Dorchester zu mieten. Das Angebot hatte ich im Immobilienteil der
Sunday Times
entdeckt, kurz bevor wir aus Kapstadt abreisten. Uns schwebte ein langer Sommerurlaub vor, den wir dazu nutzen wollten, uns in aller Ruhe nach einer dauerhaften Bleibe umzutun. Wir hatten beide keine Bindungen an eine bestimmte Gegend Englands. Die Eltern meines Mannes waren tot, und meine Eltern hatten sich im benachbarten Devon im milden Klima Torquays zur Ruhe gesetzt. Wir meldeten die Jungen für den Herbst zum Studium an und machten uns auf, unsere Wurzeln wiederzuentdecken. In den Jahren im Ausland hatten wir gut verdient, es bestand daher keine Notwendigkeit, unverzüglich auf Arbeitssuche zu gehen. Bildeten wir uns jedenfalls ein.
    Die Realität sah etwas anders aus. In den Jahren unserer Abwesenheit hatte
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