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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien
Autoren: Minette Walters
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dem Kopf zu verlieren. Drei Monate später gingen Sam und ich ins Ausland.
Medizinischer Bericht über Miss Ann Butts, übergeben an Mr. Brian A. Hooper, Coroner, am 12. Dezember 1978, von Dr. Sheila Arnold, praktische Ärztin, zurzeit tätig an der Howarth Klinik, Chicago, Illinois, USA (ehemals: Gemeinschaftspraxis Cromwell Street, Richmond, Surrey).
    (Dr. Arnold ging am 10. September 1978 zu einem einjährigen Arbeitsurlaub nach Amerika. Während dieser Zeit sollte Miss Butts von einem anderen Arzt aus Dr. Arnolds Praxisgemeinschaft betreut werden. Da dieser noch keinen Kontakt zu der Patientin gehabt hatte, wurde vereinbart, dass Dr. Arnold den folgenden Bericht vorlegt. Dem Coroner wurden von der Praxis Cromwell Street alle medizinischen Unterlagen von Miss Butts zur Verfügung gestellt.)
    Von Juni 1969 bis zum Zeitpunkt meiner Abreise in die USA am 10. September 1978 war Ann Butts meine Patientin. Sie litt unter dem Tourette-Syndrom, einer neurophysiologischen Störung, die durch wiederkehrende Muskelzuckungen und ungewollte sprachliche Äußerungen gekennzeichnet ist. Sie hatte diese Krankheit von ihrer Mutter geerbt, die an einer komplexeren Art derselben Störung litt, an so genannter Koprolalie, einem Zwang zur Äußerung von Obszönitäten. Ann Butts, die ihre Mutter viele Jahre bis zu deren Tod 1968 betreute, hatte gelernt, mit ihrer Krankheit umzugehen. Die auffallendsten Symptome bei Ann Butts waren: 1) motorische Zuckungen des Gesichts und der Schultern; 2) zwanghaftes Reden mit sich selbst; 3) zwanghaftes Verhalten, besonders was ihr Zuhause und ihre persönliche Sicherheit anbelangte.
    Im Dezember 1969 überwies ich sie an Dr. Randreth Patel (Krankenhaus Middlesex), der besonderes Interesse an Ann Butts zeigte. Er respektierte ihre Abneigung gegen die Einnahme von Psychopharmaka, welche Anns Meinung nach den Zustand ihrer Mutter eher verschlimmert als verbessert hätten. Es ist bisher nicht gelungen, eine wirksame Behandlung des Tourette-Syndroms zu entwickeln. Die Störung scheint sich mit dem Alter zu bessern, das traf auch bei Ann Butts zu. Soweit ich weiß, waren ihre Zuckungen im Teenageralter weit stärker ausgeprägt (Geburtsdatum – 12.03.36). Dies hatte zur Folge, dass sie ein hohes Maß an Hänseleien und unfreundlichen Bemerkungen von Gleichaltrigen ertragen musste. Sie hatte, nachdem sie vorzeitig von der Schule genommen wurde, kaum soziale Kontakte. In den letzten Jahren waren Ann Butts' Symptome vergleichsweise schwach ausgeprägt, wenn sie auch dazu neigte, sie von Zeit zu Zeit durch übermäßigen Alkoholgenuss zu verstärken. Sie hatte einen durchschnittlichen IQ und keinerlei Schwierigkeiten, ein selbständiges Leben zu führen, auch wenn sie auf Grund ihrer zwanghaften Besorgnis um ihr Zuhause und ihre persönliche Sicherheit das Zusammensein mit anderen scheute. Ich besuchte sie alle sechs bis acht Wochen, und bei meinem letzten Besuch – am 8. September 1978 – war sie bei guter Gesundheit, sowohl körperlich als auch geistig.
    Sheila Arnold

Zwanzig Jahre später...
    Briefwechsel mit den Eltern vor der Rückkehr der Ranelaghs nach England im Jahr 1999
    CURRAN HOUSE
    Whitehay Road
    Torquay, Devon
Donnerstag, den 27.05.99
    Mein Liebling,

ich weiß nicht, warum du jedes Mal so wütend werden musst, wenn jemand deine Entscheidungen in Frage stellt. Es gehört sich nicht, wie ein Fischweib ins Telefon zu schreien, erst recht nicht auf eine Entfernung von Tausenden von Kilometern.
Natürlich
freuen sich dein Vater und ich, dass du nach Hause kommst. Du kannst aber nicht erwarten, dass wir von dieser blödsinnigen Idee, ein Bauernhaus in Dorchester zu mieten, hellauf begeistert sind. Das sind von hier aus mehr als
zwei Stunden
Autofahrt, und dein Vater wird die Hin- und Rückfahrt niemals an einem Tag schaffen. Außerdem tut es weh, dass wir unsere Enkelkinder in zwanzig Jahren nur zweimal zu Gesicht bekommen haben, und beide Male nur in Verbindung mit sehr teuren Urlauben. Wir haben immer gehofft, sie würden in unserer Nähe leben, wenn ihr endlich zurückkämt.
    Ich bin sicher, es ist noch nicht zu spät, in Devon etwas für euch zu finden. Wir haben einen sehr guten Makler hier, der eine ganze Reihe erschwinglicher Mietobjekte hat. Hast du dir die Mühe gemacht, nähere Erkundigungen über dieses Bauernhaus einzuziehen? Deine Beschreibung war ziemlich vage, und ehrlich gesagt finde ich 650 Pfund pro Monat ziemlich teuer für ein Haus am Ende der Welt. Dir ist doch wohl klar,
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