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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann
Autoren: Evi Simeoni
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war, wurde der Fänger und bekam aufgebrummt, dass er einmal zwischen den metallenen Stangen einer Leiter hindurchkriechen musste, so dass die anderen Zeit bekamen, davonzulaufen. Die Jungs schlüpften hindurch wie die Heringe.
    Ich hatte natürlich Angst. Gleichzeitig war ich neugierig, ob ich durch den Zwischenraum passte. Mein Bauch war dick, aber weich, und ich rechnete damit, dass er nachgeben würde, wenn es zu eng wurde. Ich traute mich erst, es auszuprobieren, als ich allein war. Ich zog meine Jacke eng an meinen Leib, schob meine Arme durch den Zwischenraum und rutschte durch. Erst kurz vor den Hüften ging nichts mehr. Ich versuchte, mit dem Oberkörper hochzukommen, um zurückrutschen zu können, aber inzwischen hatte sich auch noch meine Jacke zwischen meinem Körper und den Stangen festgeklemmt.
    Ich steckte nicht lange drin. Vielleicht zwei Minuten. Aber natürlich kam ausgerechnet der blöde Matthias vorbei, der selbst immer versuchte, seine Neurodermitis an seinen Händen zu verstecken, und zur Ablenkung andere auslachte, wann immer es ging.
    »Ich reiß dir die Hose runter!«, rief er und kam näher, und erst jetzt packte mich die Panik.
    »Ali«, spottete er, nun schon direkt hinter mir, »zeig mir dein Arschi!«
    Ich zappelte. Jetzt nicht heulen, dachte ich, und schon einen Augenblick später hatte ich es durch Wippen geschafft, mich so weit rückwärts zu schieben, dass ich ein Stück aus den Stangen herausrutschte. Meine Füße trafen wieder auf festen Boden, langsam zog ich meinen Oberkörper heraus, was schwierig war, weil die Jacke sich umstülpte. Als ich mich endgültig befreite, legte sich der Stoff über meinen Kopf, und es wurde kurz dunkel um mich. Als ich die Jacke endlich zurückgeschlagen hatte, war Matthias weg.
    Nun heulte ich doch. Ich wollte nicht fett sein. Zum ersten Mal fühlte ich unter den Kleidern ganz bewusst meine schweren Hautfalten. Ich weiß, wie es ist, einen Busen zu haben. Und wie am Bauch schwabbelnd Haut auf Haut reibt. Das vergisst man nicht. Auch wenn ein Dicker eines Tages dünn wird, bleibt er irgendwo innen drin doch immer ein Dicker.
    Ich setzte mich auf eine Bank neben den Sandkasten, hatte plötzlich Schluckauf vom Heulen, der Rotz lief mir aus der Nase, Taschentuch hatte ich keines, so dass ich ihn immer wieder hochzog. Mir war kalt, aber nach Hause wollte ich nicht, weil ich Angst hatte, ich könnte den Fragen meiner Mutter nicht standhalten und würde ihr alles erzählen, und sie würde sich meinetwegen schämen oder mich bestrafen. Ich fühlte mich am Tiefpunkt meines jungen Lebens, und wenn damals nicht ein Mann mit seinem Collie vorbeigekommen wäre, hätte ich wahrscheinlich genau in diesem Moment resigniert.
    Der Mann schaute mich kurz an, setzte sich seufzend neben mich auf die Bank und gab mir kommentarlos ein Papiertaschentuch. Er war weder jung noch alt, hatte einen dunklen,vornehm wirkenden Mantel an, und sein Gesichtsausdruck erinnerte mich an einen freundlichen Fisch. Der Collie kauerte sich vor seine Füße, ohne dass ich einen Befehl gehört hätte. Ich schneuzte mich, faltete das Taschentuch sorgfältig zusammen und steckte es in meine Jackentasche. Weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte, fing ich an, mit meinen Füßen zu schaukeln. Ich merkte, dass der Mann auf die abgestoßenen Spitzen meiner Halbschuhe blickte.
    »Wie alt bist du?«, fragte er.
    »Zwölf.«
    »Du hast große Füße.«
    Ich nickte. Ich hatte bereits Schuhgröße 37.
    »Du wirst wachsen«, sagte er. »Ich schätze, du wirst 1,90 Meter groß. Oder mehr.«
    Ich schaute auf meine wulstigen Oberschenkel. »Ich bin zu dick. Werde ich dünner, wenn ich wachse?«
    »So einfach ist das nicht«, sagte er. »Vielleicht, wenn du anfängst, einen anständigen Sport zu betreiben.«
    Ich ließ den Kopf hängen und dachte an den blöden Matthias, der in einer richtigen Fußballmannschaft spielte. Und an Paul, der ein Pony hatte.
    »Das wird nicht gehen. Ich bin unsportlich.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte der Mann. »Es gibt für jeden einen Sport.«
    »Und welchen gibt es für mich? Sagen Sie bloß nicht Schach spielen wie mein Vater.«
    »Ich meine Rudern«, sagte der Mann.
    »Rudern? Das ist sicher zu schwer für mich.«
    Der Mann schüttelte den Kopf.
    »Da brauchst du viel Kraft und nur ein bisschen Technik. Das lernst du schon.« Er holte eine Visitenkarte aus der Manteltasche und reichte sie mir.
    »Mein Name ist Dr. Anton Wissmann, ich bin der Vorsitzende vom
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