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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann
Autoren: Evi Simeoni
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Filzstift seine Umrisse nach. Zu Hause schnitt ich sie aus und malte das Ganze mit einem breiten Pinsel schwarz aus. Sein Schatten. Es war mein Geschenk zu seinem 27. Geburtstag, und er schien sich wirklich darüber zu freuen. Er hängte ihn an eine Wand im Flur.
    Erst viel später fiel mir auf, dass er ständig mit sich selbst beschäftigt war. Er war zu allen Leuten nett, er kam mit allen aus, weil er Berührungen und Reibungen vermied. Nur ganz selten fing er an, sich über absurde Dinge zu beklagen. Er konnte Passanten anherrschen, weil ein Laden geschlossen war, in den er gewollt hatte. Oder den Hausmeister im Klub dafür, dass sein Fahrrad im Regen nass geworden war. Wirklich peinlich manchmal, aber das war die Ausnahme und schnell vergessen. Normalerweise war er still.
    Ich habe ihm einmal vorgeworfen, für ihn sei das Leben ein Brettspiel, eine Art Mensch-ärgere-dich-nicht mit Holzmännchen, die sich nur durch die Farbe unterschieden. Er schüttelte den Kopf und sagte, das stimme nicht.
    »Ich selbst bin gar nicht im Spiel.«
    Er hat mich nicht verstanden. Und ich ihn auch nicht, trotz meiner Bemühungen. »Ich studiere Arne-Forschung«, sagte ich zu ihm, wenn er sich gegen meine Neugier wehrte. Dass wir einander fremd waren, war unsere große Gemeinsamkeit. Außerdem sahen wir super aus zusammen. Und was noch? Ich weiß nur, dass ich ihm in der ersten Zeit hinterhergelaufen wäre wie ein Hund, vorausgesetzt, er hätte nach mir gepfiffen. Ich wartete darauf, dass er einmal, nur ein einziges Mal nach mir pfeifen würde, aber er tat es nicht.
    Wir waren vier Jahre lang ein Paar, in einer Phase des Lebens, in der vier Jahre noch wie eine wirklich lange Zeit erscheinen. Und auch danach kam ich nicht von ihm frei. Er hatte mich in der Hand, weil er mich nicht festhielt.
    Schon auf der Fahrt ins Studentenwohnheim überlegte ich, wie ich es anstellen würde, ihn wiederzusehen. Und dann würde ich besser vorbereitet sein.

ALI,
    Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Dienstag, 18. März 2008
    Bevor ich hier mein Leben vor dir ausbreite, will ich eines klarstellen: Der Leistungssport ist mein Leben. Alles, was ich geworden bin, bin ich durch meinen Sport geworden. Dort habe ich gelernt, mich niemals mit Mittelmaß zufriedenzugeben. Die Steigerung als Ziel zu sehen. Wenn es schwierig wird, nicht zu kneifen, sondern zu kämpfen. Ich bin mit zwölf Jahren Sportler geworden und es immer geblieben, und dass ich das bin, werde ich immer gut finden.
    Als Kind war ich so dick, dass ich einmal auf dem Spielplatz in einem Klettergerüst steckengeblieben bin. Ich war zwölf Jahre alt, und mir war längst klar, was für eine peinliche Figur ich abgab. Meine Mutter ließ es mich jeden Tag spüren. Mein Vater an den Wochenenden. Er war ein Mann von eiserner Gesundheit, der sich morgens um sechs unter der Dusche kalte Güsse verabreichte. Wenn ich beim Frühstück Milch auf meine Schüssel voller Cornflakes schüttete, sah er mich schweigend an. Ich wusste, es war schlimm für ihn, dass ich so dick war, aber ich konnte nichts dagegen machen. Ich hatte immer Hunger. Während Vater Kräuterquark auf seine zweite Scheibe Graubrot kratzte und meine Mutter im Garten Atemübungen machte, schraubte ich das Jumbo-Glas Nutella auf, tauchte einen Suppenlöffel hinein und leckte ihn langsam ab.
    Nachmittags war ich meistens allein. Meine Mutter ging in die Praxis, um Vater zu assistieren. Ich hing herum, Fernsehen war verboten. Manchmal saß ich stundenlang auf dem Boden hinter einer staubigen Gardine aus schwerem, mit Blumen gemustertem Stoff und ließ St-Moritz-Eisschokolade im Mund zergehen.
    Wenn wir unterwegs waren, schämte Mutter sich. Sie flüsterte mit anderen Frauen und sah mich dabei an, als wäre ich ihr fremd. Sie fühlte sich schuldig, weil sie in der Schwangerschaft ein paar Zigaretten geraucht hatte. Manchmal, wenn sie glaubte, ich hörte es nicht, sagte sie ihren Freundinnen, sie vermute, das Nikotin habe mein Sättigungsgefühl zerstört. Als Gegenmittel sollte ich mich einmal nur noch von Bananen ernähren und ein anderes Mal wieder Leinsamen über mein Müsli streuen. Aber nichts schlug an, ich nahm weiter zu.
    Erst als ich im Klettergerüst steckte, begriff ich, dass ich nicht als Dicker leben wollte. Es war ein kühler Frühlingsabend, und die anderen waren schon weg. Drei, vier Jungen, die sich auf dem Gerüst gejagt hatten, hinaufgeklettert und heruntergesprungen waren. Das Spiel ging so: Wer abgeklatscht worden
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