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Schlaflos

Schlaflos

Titel: Schlaflos
Autoren: Monika Bender
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mit einer sterblichen Frau verbindet, geschieht das durch das sogenannte
Blutritual.“
„Ist das so grauenhaft, wie es sich anhört?“
Nora grinste über Tonys entsetztes Gesicht.
„Eine Hälfte des Rituals kennen Sie schon, und es sollte mich wundern, wenn es
Ihnen nicht gefallen hätte!
Dabei geht es darum, dass Lukas Ihr Blut trinkt. Normalerweise ist das maximal
ein halber Liter. Beim Ritual würde Lukas allerdings etwas mehr trinken. Und er
muss Ihnen sein Blut geben. Aber nicht so wie in diesem Film, sondern Sie
würden seine Halsschlagader öffnen und daraus trinken.“
    Tony glotze Nora entsetzt an. Diese zog eine lange, goldene
Kette aus ihrem Ausschnitt. Der Anhänger wirkte wie ein sehr breiter Ring. Es
gab ein klickendes Geräusch und sie hatte einen Teil des Ringes in der Hand.
Sie reichte ihn Tony. Das Ding sah mehr wie ein kurzer Fingerhut aus. An der
Stelle, wo sich bei einer Fingerkuppe der Nagel befand, ragte ein spitzer
Metalldorn hervor, scharf wie ein kleines Messer.
    „Passen Sie auf, schneiden Sie sich nicht!“
Tony drehte den goldfarbenen Gegenstand in der Hand. Das konnte nicht sein,
oder?
„Sie meinen, Sie haben Lukas Vater damit die Halsschlagader aufgeschnitten, als
– Sie ein Paar geworden sind?“
„Nicht nur damals. Ich muss regelmäßig von Johann trinken. Sonst fange ich,
nach einer gewissen Zeit, wieder an zu altern. Alle paar Monate ein Schluck
genügt eigentlich, aber“, sie hielt verschwörerisch eine Hand an den Mund und
dämpfte ihre Stimme, „es ist einfach unglaublich.“
    All die ungeheuerlichen Informationen wirbelten durch Tonys
Kopf. Aussichtslos, auch nur ansatzweise Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
„Wie alt sind Sie?“, fragte Tony.
„Ich werde im Oktober zweihundertundvier. Dafür hab ich mich nicht übel
gehalten, was?“
„Oh Gott! Und wie alt ist Lukas?“
„Keine Aufregung. Lukas ist erst vor Kurzem dreiundzwanzig geworden. Er ist,
für unsere Verhältnisse, praktisch noch ein Baby.“
Das gab der Bezeichnung „ spät gebärend“ eine völlig neue Bedeutung. Tony
musste unwillkürlich lachen.
„Ich bin also die einzige Frau, die einen jugendlichen Vampir aufgegabelt hat?“
„Die Einzige sicher nicht. Bluttrinker können tatsächlich fast unbegrenzt
leben. Dennoch schaffen die meisten es nicht, viel älter als ein paar Hundert
Jahre zu werden.“
„Das ist aber doch eine Menge. Wie alt ist Lukas Vater?“
„Sechshundertfünfzig und irgendwas. Ganz genau weiß er es selbst nicht. Damals
kam den Leuten das Geburtsdatum nicht so wichtig vor.“
Meine Güte! Und dabei hatte sie gedacht, sie hätte alte Eltern.
„Ich weiß, das alles ist schwer zu begreifen.“ Nora missverstand Tonys
Kopfschütteln, beugte sich vor und legte die Hand beschwörend auf ihren
Ellbogen. „Sie werden sich wundern, wie schnell man sich an die sonderbarsten
Dinge gewöhnt. Ich bin überzeugt, in ein paar Wochen ...“
Tony erschrak so sehr, dass sie ihren Arm losriss.
„Nora, oh bitte ...“ Sie rang verzweifelt die Hände. Wie lange konnten diese
Leute sie hier einsperren?
So lange sie wollen. Wer soll sie daran hindern? „Bitte beruhigen Sie sich, Tony. Ich meine damit doch nicht, dass wir Sie
gegen Ihren Willen hier behalten wollen. Bitte verzeihen Sie. Wie dumm von
mir.“
Nora schenkte ihr ein besänftigendes Lächeln, so unpassend in dieser Situation,
dass Tony noch weiter zurückwich.
„Sie sind etwas ganz Besonders, Tony. Sie müssen wissen, dass Frauen wie Sie in
unserem Volk eine besondere Stellung einnehmen. Sie gehören zu uns. Und die
Art, wie mein Sohn auf Sie reagiert, ist wirklich ganz erstaunlich.“
    Noras Erklärung sickerte in Tonys Verstand, durchdrang ihre
Angst und rief ein anderes Gefühl hervor. So ungewohnt und zwiespältig, dass es
ebenso gut Grauen wie Hoffnung sein konnte.
„Moment mal, Moment! Sie reden ja grade so, als wollte Lukas ...“
Eine Welle widersprüchlicher Emotionen ließ ihr die Stimme versagen.
„Sie wären eine wunderbare Gefährtin für meinen Sohn.“
Tony schnappte nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Grade erst hatte sie
sich, was Lukas betraf, jedes Hirngespinst aus dem Kopf geschlagen. Gefangen
genommen und verschleppt zu werden hatte dazu eine Menge beigetragen.
    Nora strahlte ruhige Überzeugung aus. „Sie sind eine
Telepathin, Tony!“
„Aber nein!“
„Oh doch! Ganz bestimmt sogar!“
„Sind Telepathen nicht Leute, die angeblich Gedanken lesen können?“ Vielleicht
meinte Nora ja etwas ganz
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