Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlaflos

Schlaflos

Titel: Schlaflos
Autoren: Monika Bender
Vom Netzwerk:
anderes damit.
„Nicht nur angeblich. Alle Bluttrinker können Gedanken lesen. Und Menschen
Gedanken eingeben, die sie dann für ihre eigenen halten.“
„Das ist es, was Lukas bei mir versucht hat, nicht wahr?“
Ein weiterer Grund, so schnell wie möglich verschwinden zu wollen. Nora nickte. „Ganz recht. Deshalb ist es so wichtig, dass seine Gefährtin
eine Telepathin ist, wie Sie. Das Gedankenlesen ist nicht das Wichtigste dabei,
sondern die Fähigkeit, Ihre eigenen Gedanken zu schützen. Und nicht so leicht
beeinflussbar zu sein, natürlich.“
Hinter Tonys Stirn machte sich ein ziehender Schmerz bemerkbar. Konnte man im
Gehirn einen Krampf bekommen, wenn man sich zu viel zumutete?
„Es ist ein Glück, dass Sie sich so gut abschirmen können“, fuhr Nora unbeirrt
fort. „Lukas ist ein besonders starker Telepath. Das hat er von seinem Vater.
Nicht, dass Sie denken, Bluttrinker würden ständig herumlaufen und Leute zu
irgendetwas zwingen. Die meisten tun das nur, um unbemerkt zu trinken,
verstehen Sie? Oder wenn sie in einer Klemme stecken. Aber in einer Beziehung
kann das problematisch werden. Die Versuchung, die Partnerin vom eigenen
Standpunkt zu überzeugen, ist einfach zu groß.
Es kommt natürlich immer wieder vor, dass Bluttrinker mit anderen Frauen
zusammenleben. Schließlich sind telepathisch begabte Menschen sehr selten, auch
wenn das bei Frauen häufiger vorkommt als bei Männern. Es muss nicht in einer
Tragödie enden, aber es ist eine Belastung. Als Nichttelepath kann man nie
hundertprozentig sicher sein, ob man seinem eigenen Willen folgt oder grade
beeinflusst wird. Auf Dauer entsteht immer Misstrauen und das tut keiner
Partnerschaft gut.“
    Der Kopfschmerz wuchs sich zu einem üblen Pochen aus.
Vielleicht war ihr Hirn einfach in Streik getreten, weigerte sich, noch mehr
obskure Informationen zu verarbeiten.
    „Nora, ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen. Ich bin nicht
einmal besonders gut darin, andere Leute einzuschätzen.“
Das stimmte hundertprozentig. Man sah es daran, dass sie mit der Mutter und
Ehefrau ihrer Gefängniswärter gemütlich plauschend beisammen saß. Und dass sie
sich tatsächlich eine Weile eingebildet hatte, ein Mann der aussah wie Lukas,
könnte an ihr interessiert sein.
    „Von Telepathie zu sprechen ist vielleicht ein wenig
irreführend, muss ich zugeben“, lenkte Nora ein. „Eigentlich geht es eher um
eine parapsychische Begabung. Die kann ganz verschiedene Formen annehmen. Bei
mir zum Beispiel ist es nicht viel mehr, als meine Gedanken bei mir zu
behalten. Aber ich bilde mir ein, Menschen ganz gut einschätzen zu können.“ Sie
betrachtete Tony so aufmerksam, als könnte sie in ihren Kopf hineinsehen. „Und
in Ihrem Fall bin ich überzeugt, dass Sie sogar eine sehr ausgeprägte Begabung
besitzen. Sind Sie sicher, dass Ihnen nie etwas Unerklärliches passiert ist.
Oder dass Sie plötzlich etwas wussten, das Sie gar nicht wissen konnten?“
    Bei dieser Formulierung beschlich Tony ein mulmiges Gefühl.
Das traf es verdammt gut, war es doch genau ihr Problem gewesen, damals, als
Kind. Manchmal auch noch zu Beginn der Pubertät. Irgendwelche Dinge tauchten in
ihrem Kopf auf, die dort rein gar nichts zu suchen hatten.
    Sie wusste einfach, dass der Vater ihrer Freundin gar keine
Überstunden machte, wenn er spät nach Hause kam. Oder die neue Bedienung in der
Eisdiele. Tony hatte schon am ersten Tag gewusst, dass sie Geld aus der Kasse
nahm.
Dass es nicht ratsam war, solche Dinge auszuplaudern, hatte sie früh gelernt.
Es war hart gewesen, all das zu wissen, ohne mit jemandem darüber sprechen zu
dürfen.
    „Nein“, warf sie Nora entgegen und schüttelte sich heftig.
Sie musste zu sich kommen, die Vergangenheit in die Versenkung zurückschicken,
in die sie gehörte.
„Das ist verrückt. Lukas macht sich gar nichts aus mir. Selbst wenn es stimmte,
was Sie sagen, würde es keine Rolle spielen. Nora, bitte, helfen Sie mir hier
rauszukommen! Ich werde niemandem etwas erzählen, das schwöre ich. Mein Gott,
denken Sie, ich will in der Klapse landen? Kein Mensch würde mir glauben.“
Lukas Mutter schüttelte traurig den Kopf.
„Ich flehe Sie an, Nora! Es tut mir leid, dass ich Lukas gesucht habe. Das
werde ich nie wieder tun. Ich schwöre es. Wenn Sie wollen, schwöre ich, dass
ich dieses Kino nie wieder betrete.“
„Dafür ist es zu spät.“
    Nora hatte bei ihrer Ankunft erheblichen Lärm verursacht.
Lukas lautloses Auftauchen, direkt neben der Tür, ließ Tony
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher