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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul
Autoren: Vera Hohleiter
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Stadtrundfahrt absolviert. Bei endlosen Fotosessions vor den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der
     Stadt werden Beweise für die Zuhausegebliebenen produziert, die belegen, dass man wirklich weit gereist und weltgewandt ist.
     Wenn diese Programmpunkte abgehakt sind, kann der Shoppingmarathon beginnen. Auf der Einkaufsliste stehen meist Louis-Vuitton-Taschen
     und alles, was nach Haute Couture aussieht, aus Frankreich, Prada-Schuhe und Taschen aus Italien, Boss-Anzüge und Zwilling-Messer
     aus Deutschland, Burberry-Mäntel aus England. Mein Koreanischlehrer Mr.   Park erzählte einmal von seiner Studienzeit in England. Er wohnte in der Nähe des Burberry-Fabrikverkaufs und statt sein neu
     gelerntes Englisch anwenden zu können, musste er ständig koreanischen Touristen auf Koreanisch den Weg zu Burberry erklären.
    Fabrikverkäufe und Outlet-Stores sind die Orte in Europa, |170| die koreanische Touristen magisch anziehen. Spezielle Reiseführer geben Schnäppchenjägern detaillierte Informationen über
     die Einkaufsmöglichkeiten in dem jeweiligen Land.
    Die ersten koreanischen Touristen, die ich bewusst wahrnahm, begegneten mir in Prag. In dem Sommer, bevor ich nach Korea ging,
     reiste ich mit Joe im Zug durch Osteuropa. In Polen wurde Joes koreanischer Pass für so interessant gehalten, dass ihn acht
     Grenzbeamte nacheinander begutachten mussten. Polen war also offenbar noch nicht vom koreanischen Massentourismus entdeckt
     worden. Die meisten Koreaner buchen Pauschalreisen wie »Europa in einer Woche« – was dann eine hektische Tour durch London,
     Paris und Rom bedeutet. Weite Teile Osteuropas werden meist links liegen gelassen. Deutschland passt oft auch nicht mehr in
     den knappen Reiseplan. Ich war also mehr als überrascht, als wir in Prag schließlich auf große koreanische Touristengruppen
     stießen.
    Joes Erklärung war denkbar einfach. Prag kam in einer koreanischen T V-Miniserie vor, und so pilgerten Hunderte von koreanischen Touristen an die Moldau, um die Originalschauplätze der sentimentalen Liebesgeschichte
     zu besichtigen. In der Altstadt trafen wir auf junge Koreanerinnen, die so ziemlich alles kauften, was sie tragen konnten.
     Da ich wusste, dass die meisten Koreaner europäisches Essen für nahezu ungenießbar halten, fragte ich Joe, wo diese vielen
     Touristen wohl ihr koreanisches Essen herbekamen und ob sie denn tatsächlich alles von zu Hause mitbrachten. Joe sagte, dass
     viele koreanische Touristen in »Koreaner-Pensionen« abstiegen.
    Koreaner-Pensionen werden von Koreanern geführt, die schon lange in der betreffenden Stadt leben und die Landessprache sprechen.
     Sie geben den Touristen Auskünfte, Wegbeschreibungen und vor allem kochen sie koreanisches Essen. Koreaner-Pensionen gibt
     es in jeder größeren europäischen Stadt. Ich hatte noch nie davon gehört – was nicht verwunderte, denn diese Pensionen haben
     ausschließlich koreanischsprachige |171| Websites, weil sie gar keine Gäste aus anderen Ländern anlocken wollen. Als Joe mir davon erzählte, kam es mir vor, als hätte
     ich eine geheimnisvolle Parallelgesellschaft entdeckt.
    Ich fand das Konzept der Koreaner-Pension so skurril, dass ich dort unbedingt übernachten wollte. Joe kontaktierte eine Pension
     in Budapest, unserem nächsten Reiseziel. Es gab dort zwar freie Zimmer, aber als Joe sagte, er würde mit einer Deutschen kommen,
     lehnte die Wirtin ab. Sie sagte, Deutsche seien zu verschieden von Koreanern und noch dazu oft Vegetarier, das sei ihr unangenehm.
    In Budapest blieb mir die Koreaner-Pension verschlossen. Später im Sommer reisten wir nach London, weil Joe von dort aus seinen
     Rückflug nach Korea antreten musste. Er hatte seine Londoner Wohnung bereits aufgegeben. Als wir eine Übernachtungsmöglichkeit
     suchten, fanden wir eine Koreaner-Pension in Golders Green, die auch bereit war, mich aufzunehmen. Das Haus war ein ganz normales
     Londoner Einfamilienhaus – außen war alles sehr britisch, innen alles koreanisch. Die Küche war leicht zu finden, weil man
     nur dem charakteristischen Kimchi-Geruch folgen musste. In der Küche gab es einen Reiskocher und andere Küchengeräte, die
     ausschließlich von koreanischen Firmen stammten. Auf kleinen Zetteln, die am Kühlschrank und an den Küchenschränken klebten,
     standen Instruktionen für die Gäste – alles auf Koreanisch. Ich war der einzige nichtkoreanische Gast in der Pension.
    Wegen meiner Präsenz fühlten sich allerdings einige der
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