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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul
Autoren: Vera Hohleiter
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gegangen wäre. Also beantwortete ich die Frage »Können Sie sich vorstellen, einmal nach Korea
     zu reisen?« ohne weiter nachzudenken mit Ja. Ich bejahte auch die Frage: »Können Sie sich vorstellen, einen Koreaner/eine
     Koreanerin zu heiraten?« Ich kannte zwar keinen Koreaner, aber mir fiel ein Artikel über die spanische Choreographin Blanca
     Li ein, den ich gelesen hatte. In dem Artikel hieß es, dass Blanca Li den Nachnamen ihres koreanischen Lebensgefährten angenommen
     hatte. Allein die Vorstellung eines koreanischen Lebensgefährten fand ich glamourös und sehr extravagant. Mit der »Warum nicht?«-Einstellung,
     mit der ich damals mein Leben führte, beantwortete ich fast alles mit Ja und gab der jungen Koreanerin den ausgefüllten Fragebogen
     zurück. Sie bedankte sich höflich und schenkte mir zum Dank ein schönes Lesezeichen, auf dem ein Tiger abgebildet war, der
     einen angeblich vor allem Unglück beschützen soll.
    Von diesem Tag an setzte sich Korea in meinen Gedanken fest. Ich schrieb meine Diplomarbeit zu Ende, reiste mit der Transsibirischen
     Eisenbahn, verbrachte einige Zeit mit meiner Schwester in China, nahm später in diesem Sommer an |12| archäologischen Ausgrabungen in der Ukraine teil und machte im Herbst ein Praktikum in einer Berliner P R-Agentur . Als im Frühjahr 2005 in Berlin das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der dazugehörige Ort der Information eröffnet
     wurden, fing ich an, dort sechs Tage die Woche zu arbeiten. Ich feierte viel, trank viel und kam irgendwie nie zur Ruhe.
    Zur Ruhe kommen wollte ich auch gar nicht. In den Bars von Friedrichshain und Kreuzberg wollte ich einfach meinen Spaß haben
     und mich nicht dem kollektiven Frust meiner als Generation Praktikum titulierten Altersgenossen hingeben. Ich wollte lieber
     nicht daran denken, dass sich so viele hochspezialisierte junge Geisteswissenschaftler in Berlin von Praktikum zu Praktikum,
     von freier Mitarbeit zu freier Mitarbeit, von Job zu Job hangelten.
    Ich sah mir mehrmals ›Lost in Translation‹ an und ich verstand Charlotte, die sich orientierungslos und perspektivlos durch
     Tokio treiben lässt und keine Ahnung hat, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Viele meiner Freunde empfanden den Film als
     höchst frustrierend, aber mich interessierten vor allem die grellen Bilder, die schrillen Nebenfiguren, die absurden Situationen
     und die endlosen Kamerafahrten durch Tokio. Als ich mir den Film wieder und wieder auf DVD ansah, wusste ich: Ich wollte wieder
     nach Asien.
    Nach Asien, wo alles bunt und schnell ist, wo man mitten in der Hektik der Millionenmetropolen Ruhe findet, in buddhistischen
     Tempeln, kunstvoll angelegten Parks und Teehäusern, wo es die absurdesten Kosmetikprodukte, die neueste Technik und die besten
     Jeans gibt. An meine Zeit in Japan und in China erinnerte ich mich immer wieder gerne und mir fiel der Fragebogen über Korea
     wieder ein und der koreanische Lebensgefährte von Blanca Li und mein Samsung-Laptop. Warum nicht Korea, dachte ich mir. Warum
     nicht?
    Ich wollte nicht nur durch Korea reisen, ich wollte Korea richtig kennenlernen. Also suchte ich mir eine Beschäftigung |13| für den Sommer. Über eine deutsche Vermittlung fand ich eine koreanische Umweltschutzorganisation, die für ein internationales
     Projekt im August arbeitswillige Ausländer suchte. Ich meldete mich an und kurz darauf saß ich in einer Buchhandlung an der
     Gedächtniskirche und sah mir Reiseführer über Korea an.
    Ein großer, bulliger Bohemien um die dreißig sprach mich an: »Du willst nach Korea? Warum das denn?«
    »Ich interessiere mich für Asien und war schon in Japan und in China. Also dachte ich mir, es wäre spannend, noch ein anderes
     Land kennenzulernen.«
    »Na, du hast ja Mut. Mir wäre das zu gefährlich.«
    »Wieso? Ich fahre doch nur nach Südkorea.« Einen kurzen Moment hatte ich tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, nach Nordkorea
     zu reisen, aber die Visa- und Einreisebedingungen hatten mich abgeschreckt.
    »Mit diesem Verrückten und seinen Atomwaffen im Norden sitzt man im Süden doch auch auf einem Pulverfass«, sagte der dickliche
     Bohemien.
    Ich vertiefte mich in das Buch, um das Gespräch zu beenden. Die Bedrohung aus Nordkorea schreckte mich wenig. Im ›Lonely Planet‹-Reiseführer
     für Korea las ich, dass eine Reise nach Südkorea völlig ungefährlich war und es dort »außer in höchsten Regierungskreisen«
     keine nennenswerte Kriminalität
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