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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul
Autoren: Vera Hohleiter
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in einem für koreanische Ohren rüden Ton äußern |189| . Sich in der Öffentlichkeit – oder im schlimmsten Fall bei Tisch – kräftig die Nase zu putzen, mit Schuhen einen Wohnraum,
     ein traditionelles koreanisches Restaurant oder eine Umkleidekabine zu betreten, ein angebotenes Glas Schnaps abzulehnen,
     vor einem Älteren anfangen zu essen, ungeschickt mit Stäbchen zu hantieren, gerade erhaltene Visitenkarten desinteressiert
     zur Seite zu legen oder achtlos in die Gesäßtasche zu stecken   … – in Korea gibt es Hunderte möglicher Fauxpas, an die Ausländer meist nicht denken, weil es in ihren Heimatländern völlig
     normal und nicht im Geringsten unhöflich ist, sich so zu benehmen. Der koreanische Gesprächspartner wird im besten Fall leicht
     pikiert darüber hinweggehen. Im schlimmsten Fall kann sich der Fremde darauf gefasst machen, sich von älteren Koreanern eine
     Standpauke über Benimmregeln anhören zu müssen.
    Als ich mich einmal über »mangelnde Tischmanieren« bei einem koreanischen Freund beschwerte, stieß ich nur auf Unverständnis,
     weil er nicht wusste, was ich meinte. Indem ich meine westlichen Tischmanieren als Standard nahm, machte ich unbewusst den
     gleichen Fehler wie koreanische Ajummas, die sich endlos über das schlechte Benehmen von Ausländern aufregen: Ich benutzte
     eine Messlatte, die eigentlich unbrauchbar war – ich verglich Äpfel mit Birnen.
    Die Erkenntnis, dass weder die eine noch die andere Kultur besser oder schlechter ist, sondern eben nur anders, mag naheliegend
     und auch politisch korrekt sein. Wer direkt betroffen ist und mit alltäglichen Unannehmlichkeiten in einem fremden Land kämpft,
     wird allerdings nur müde darüber lächeln. Bücher, die sich mit dem Thema Kulturschock beschäftigen, erklären, wie man am besten
     mit Heimweh und Frustration fertig wird. Die Standardratschläge lauten: Erlernen der Landessprache und einheimische Freunde
     finden. Die vorgeschlagenen Methoden machen durchaus Sinn, sind aber kein Patentrezept. Je nach Ausprägung des Grace-Kelly-Syndroms
     und |190| auch von Tag zu Tag können die Bedürfnisse des Einzelnen unterschiedlich sein.
    In den Büchern wird auch nicht erwähnt, dass der Prozess der vier Phasen oft nicht linear abläuft. Es gibt Rückfälle von einer
     Phase in die andere. Selbst gut integrierte, zufriedene Ausländer können durchaus ihre mürrischen Phase-drei-Tage oder einen
     Rückfall in Phase zwei mit all der Konfusion und der Unsicherheit haben. Genauso kann an manchen Tagen die Anfangseuphorie
     aus Phase eins zurückkehren. Manche durchlaufen nicht einmal alle vier Phasen, sondern bleiben in einer Phase hängen.
    Wie es aussieht, wenn man in Phase drei feststeckt, verdeutlicht ein Besuch in Itaewon. Itaewon ist ein Viertel in Seoul,
     das sich um den U S-Armeestützpunkt herum entwickelt hat. In dem Viertel haben sich jedoch nicht nur Amerikaner niedergelassen, sondern auch indische, pakistanische,
     arabische und andere Einwanderer. Dieses Vielvölkergemisch in dem – wie Koreaner stolz bemerken – »ethnisch homogenen« Korea
     ist schon allein wegen der hohen Konzentration ausländischer Restaurants attraktiv. Wenn ich einen Rückfall in Phase drei
     oder einfach keine Lust auf koreanisches Essen habe, gehe ich mit Joe oft nach Itaewon. Ich bestelle mir dann ein Falafel-Sandwich
     oder Palak Paneer, mein Lieblingsgericht beim Inder.
    Itaewon wird im Wesentlichen von Ausländern frequentiert und von Koreanern, die gezielt Kontakt zu Ausländern suchen – im
     Klartext: von Koreanerinnen auf Männerfang. Da die Nordamerikaner in Itaewon eindeutig dominieren, hat sich dort eine englisch
     sprechende Parallelgesellschaft entwickelt, in der amerikanische Feiertage begangen werden. Einmal war ich mit Joe an einem
     Abend Ende Oktober in Itaewon unterwegs. Im Restaurant saßen wir neben einem Paar, das sich als Batman und Playboy-Bunny verkleidet
     hatte. Wir wunderten uns über den nicht gerade alltäglichen Anblick. Es dauerte einen Moment, bis uns klar wurde: Es war Halloween.
    |191| Nach dem Essen zogen wir weiter in einen Pub, wo sich angetrunkene Amerikaner in Feierlaune drängten. Niemand sprach dort
     auch nur ein Wort Koreanisch. Selbst Joe musste sein Bier auf Englisch bestellen. Nur wenige U-Bahn -Stationen entfernt war das wirkliche Korea, in dem es Menschen gab, die das Wort Halloween nicht einmal aussprechen konnten
     und die den Anblick eines Playboy-Bunnys im Restaurant oder
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