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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul
Autoren: Vera Hohleiter
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auf der Straße als höchst anstößig empfunden hätten.
    Ich selbst wohne nicht in Itaewon oder einem anderen Ausländerviertel. Seit einiger Zeit spreche ich passabel Koreanisch und
     habe mich so weit angepasst, wie es mir möglich war. Aber in manchen Punkten – wie Hierarchiedenken, Emanzipation und dem
     Umgang mit Tieren – finde ich es schwierig, Koreaner zu verstehen. Wenn ich einem älteren Koreaner begegne, der mit der ganzen
     Autorität und Selbstgefälligkeit seines Amtes völlig unlogische Entscheidungen trifft, oder wenn mir eine halbverhungerte
     Straßenkatze über den Weg läuft, die von wohlbeleibten Passanten verscheucht wird, löst dies bei mir jedes Mal einen Rückfall
     in das Grace-Kelly-Syndrom aus.
    An manchen Tagen half es mir, mit Joe oder anderen koreanischen Freunden über diese kulturellen Unterschiede zu diskutieren.
     Manchmal war ich am Ende des Gesprächs genauso schlau wie vorher, aber ich fand es zumindest beruhigend, dass sich jemand
     die Mühe machte, mir etwas zu erklären. An anderen Tagen fand ich es wesentlich befriedigender, mit meiner Mitbewohnerin Sheila
     oder anderen ausländischen Freunden über Korea und nahezu jeden Aspekt der koreanischen Gesellschaft ausgiebig zu schimpfen
     und einfach Dampf abzulassen.
    Manchmal, wenn das Heimweh stärker war als die Frustration über etwas, das mich störte, zog ich T-Shirts mit dem Emblem der FU oder mit einem stilisierten Fernsehturm an. Oder ich sah mir im Internet stundenlang die Website des
     Deutschen Historischen Museums in Berlin an. Von einer Webcam auf dem Dach des Museums werden vierundzwanzig Stunden am |192| Tag Bilder vom Palast der Republik, Unter den Linden und – in weiter Ferne – dem Fernsehturm aufgezeichnet. Ich machte mir
     einen Spaß daraus, zu jeder Tages- und Nachtzeit das Wetter, den Verkehr und einfach ein Stückchen Berlin zu beobachten. Einmal
     spazierte ich bei einem Berlinbesuch tatsächlich mit meiner Freundin Veronika Unter den Linden entlang. Wir inspizierten die
     skelettartigen Überreste vom Palast der Republik. Dabei kam mir der Gedanke, dass in genau diesem Moment vielleicht im Internet
     jemand anderes in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent, in einer anderen Zeitzone, von Heimweh und Sehnsucht geplagt,
     Veronika und mich mitten im Menschengetümmel in Berlin-Mitte beobachtete.

Informationen zum Buch
    Warum nicht Korea? Aus Abenteuerlust geht Vera Hohleiter nach Korea. In Berlin lässt sie einen spannenden Job, eine Wohnung
     im besten Ausgehviertel und viele gute Freunde zurück. Trotz des ständigen Kampfes gegen Schlaflosigkeit, Kakerlaken und die
     Tücken der koreanischen Sprache gibt es jede Menge zu entdecken: Skurriles, Lustiges, Ärgerliches, Absurdes und schlicht ganz
     Andersartiges. Das reicht vom Blind Date als Volkssport über Heiraten im Akkord bis zur koreanischen Arbeitsmoral oder dem
     Zusammenleben mit dem schönen, aber launenhaften Koreaner Sung-Jo.

Informationen zur Autorin
    Vera Hohleiter
wurde 1979 in Heilbronn geboren, studierte Literatur-, Politik- und Geschichtswissenschaft in Berlin und Paris, sie schreibt
     für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, veröffentlicht Kurzprosa in Literaturzeitschriften und Anthologien. Sie lebt
     zurzeit in Seoul und arbeitet für das koreanische Fernsehen und Radio.
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