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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf
Autoren: Annika von Holdt
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dass sie unschlüssig war. »Guter Plan, oder?« Er lächelte schelmisch.
    Sie warf ihm einen raschen Blick zu, und ihre Lippen bewegten sich, als wollte sie wieder etwas sagen. Aber sie brachte kein Wort heraus. Sie wollte jetzt nicht allein sein.
    Er lächelte erneut, legte einen Arm um ihre Schulter und machte einen Schritt. »Kommen Sie!«
    Máire blieb stehen.
    »Okay?«, fragte er.
    »Okay«, erwiderte sie leise.
    Luis Bondurants Wohnung lag in der Abercorn Street, mitten in Savannahs Altstadt. Er bewohnte in einem dreistöckigen Haus der Jahrhundertwende mit weißen Fensterläden allein die oberste Etage. Sie war geschmackvoll eingerichtet, in keinem bestimmten Stil, aber Pastelltöne dominierten, und in jedem Zimmer war die Anwesenheit der Frau greifbar, die hier einst gewohnte hatte.
    Er überließ Máire das große Schlafzimmer und schlief selbst im Wohnzimmer. Sie hatte zwei Mal geduscht, zog jedoch ihre getragenen Sachen wieder an.
    Die Stille war dick wie Öl. Máire warf einen Blick auf den Digitalwecker. Es war kurz nach vier. Draußen begann es, hell zu werden, und vor dem Fenster bewegten sich die Moosschleier der Eichen im Wind. Das Unwetter war weitergezogen, aber es fiel noch immer leichter Sprühregen, der schnurgerade vom Himmel kam. Sie ging zum Fenster, um die Jalousie herunterzulassen, aber die Lamellen blieben oben hängen. Aus Versehen stieß sie einen birnenförmigen Krug von der Fensterbank.
    »Mist!«, flüsterte sie.
    Es klopfte leise an der Tür. »Ist alles in Ordnung?«, fragte Bondurant.
    »Ja, alles okay«, gab sie ausdruckslos zurück. »Ich krieg nur dieses Ding nicht runter.« Sie ließ die Schnur los.
    Er trat ins Zimmer. Er trug Jeans und T-Shirt und war barfuß. Sein Haar war feucht. Er musterte zuerst das unberührte Bett, danach sie und bemerkte, dass sie immer noch dieselben Kleider trug. Er fragte: »Können Sie nicht schlafen?« Er bückte sich und stellte den Krug wieder auf die Fensterbank zurück.
    Schlafen, dachte sie sehnsüchtig. Sie konnte sich ziemlich genau vorstellen, wovon sie träumen würde, wenn sie einzuschlafen versuchte. Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken. »Und Sie?«, fragte sie.
    Bondurant zuckte die Achseln. »Ich musste sowieso noch ein paar Dinge klären.«
    »Was Neues?«, fragte sie ängstlich.
    Er schüttelte mutlos den Kopf. »Wir arbeiten bei der Spurensicherung mit den Kollegen in Atlanta zusammen. LeBelles Haus ist bis auf die Grundmauern abgebrannt. Jetzt werden die Reste akribisch untersucht. Ich bin gerade angerufen worden.« Er wandte den Blick ab und sah zu Boden, als würde er in einen Abgrund starren. »Es ist der reinste Albtraum. Bisher sind die Überreste von mindestens sieben Frauen gefunden worden.« Er schüttelte den Kopf. »Überall im Keller lagen Leichen und Leichenteile verstreut. Und Aufzeichnungen, Notizen … LeBelle und sein Komplize haben offenbar versucht, sich in ihrer Grausamkeit gegenseitig noch zu übertreffen.«
    »Ich hab’s gewusst, dass sie zu zweit waren«, sagte Máire. »Das habe ich Ihnen ja gesagt!«
    »Ja, Sie hatten recht«, erwiderte er.
    »Und was ist mit dem anderen? Läuft er immer noch frei rum?«
    »Nein, er ist auch tot.«
    »Tot? Wie das denn?«
    »Alles deutet darauf hin, dass es zwischen den beiden zu einem Handgemenge gekommen ist und LeBelle ihn dabei getötet hat – er hat ihm die Kehle durchgeschnitten.« Bondurant schüttelte wieder den Kopf, und es entstand eine Pause. »Schon bei dem Gedanken daran, dass ich fünfzehn Jahre lang tagaus, tagein mit diesem Schwein zu tun gehabt habe … ohne zu durchschauen, dass … ohne irgendwie misstrauisch zu werden, ohne zu kapieren, dass da irgendwas mit ihm nicht gestimmt hat … ich als Polizist! Wie in einem verdammten, schlechten Theaterstück!« Sein Gesicht schimmerte matt in der Morgendämmerung, und seine Stirn hatte tiefe Kummerfalten. »Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit. Wehrdienst. Akademie. Einmal im Jahr haben wir zusammen Urlaub gemacht. Vor knapp drei Stunden habe ich noch sein feistes Grinsen gesehen.« Er unterbrach sich und lächelte, aber es war kein freundliches Lächeln. Er lächelte eher, um die bösen Geister fernzuhalten.
    »Mit ihm zu tun gehabt? Um Gottes willen …« Máire glaubte zu begreifen. »Wer ist es denn? Ein Polizist? … Cooper? Er war’s? Er war der andere?«
    Bondurant nickte düster und schluckte. »Ein ganz übler Teufel. Verflucht noch mal … diese ganzen Frauen … diese armen, armen
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