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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf
Autoren: Annika von Holdt
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still. Bevor Máire wusste, was sie machen sollte, hörte sie eine Sirene heulen und sah das Blaulicht eines Einsatzwagens hinter dem Haus aufleuchten. In der Ferne waren mehrere Sirenen zu hören.
    »Sind Sie verletzt?« Bondurant musste schreien, um den Regen und die Einsatzwagen zu übertönen.
    »Nein, mir geht es gut. Aber ich glaube, meine Freundin hat sich den Knöchel gebrochen. Und im Haus sind möglicherweise noch andere Frauen!«
    »Wo ist er?«, fragte Valerie beunruhigt.
    Das wollte Máire auch gerne wissen. Sie warf Val einen raschen Blick zu. Bondurant stand jetzt vor ihnen, völlig durchnässt vom Regen, ließ die Schaufel fallen und breitete die Arme aus, als wollte er sie beschützen.
    »Und wo ist er? … LeBelle?«, fragte Máire.
    »Er ist tot. Er kann Ihnen nichts mehr tun.«
    »Tot?«
    Bondurant nickte.
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja, ganz sicher.«
    Máire zitterte am ganzen Körper und hätte am liebsten ihren Kopf an seine Brust gelehnt. Doch stattdessen legte sie sich Valeries Arm um die Schultern, um sie zu stützen. Valerie ging ein paar Schritte, verlor das Gleichgewicht und sah ein, dass sie nicht mehr konnte. Sie klammerte sich an Máire, die auch nicht viel mehr Kraft in ihren Beinen hatte als Val.
    »Lassen Sie mich mal«, sagte Bondurant. Val starrte in sein verschwitztes, rußiges Gesicht und schien zu überlegen, ob er überhaupt vertrauenswürdig war oder ob sie den Weg lieber zu Fuß zurücklegen sollte. Dann lächelte sie matt und ließ sich helfen. Er hob sie mit einer Leichtigkeit hoch, als hätte die Schwerkraft keine Gültigkeit mehr.

29
     
    Máire fühlte sich unglaublich schwach, als sie Bondurant und Val in strömendem Regen zum Haus folgte. Donner grollte in der Ferne, aber sie konnte nicht sehen, ob es blitzte: Der schwere Rauch hing in der Luft und verdunkelte den Himmel.
    Das Haus glich einer Ruine, als sie es erreichten – ein dunkler Umriss, wie auf einem Negativ. Irgendetwas explodierte wie ein Kanister Nitroglyzerin. Der ohrenbetäubende Lärm ließ sie glauben, sie sei taub geworden, aber dann konnte sie sich selbst husten hören.
    Valerie schrie vor Schreck auf.
    Asche wirbelte auf – tellergroße Flocken tanzten in der Luft, als würden sie sich gegenseitig jagen, dann lösten sie sich auf und verwandelten sich in schwarzen Regen. Die Terrasse sowie mehrere Bäume standen in Flammen, und immer wieder knallte es laut, wenn ein Ast explodierte.
    Nun hielten zwei Krankentransporter und ein Leichenwagen in der Auffahrt, und ein riesiger Löschzug stoppte im hohen Gras vor dem Haus, den Wasserwerfer volle Kraft auf die Fenster gerichtet. Die Männer in ihren rot-weißen Regenjacken arbeiteten fieberhaft, aber das Feuer wütete im Hausinneren hartnäckig weiter. Mehrere Feuerwehrmänner liefen mit ihren Löschgeräten auf dem Rücken ins Haus. Máire sah, wie sich die dunklen Gestalten vor den schlagenden Flammen abzeichneten, und hörte ihre lauten Stimmen und das Knacken der Funkgeräte.
    Sie spürte, wie die erdrückende Hitze auf der Haut brannte und in den Lungen stach. Die Hitze wurde von Minute zu Minute größer, aber Máire blieb stehen und starrte sprachlos auf das flammende Inferno, während Bondurant Valerie eine Decke um die Schultern legte und ihr in einen Ambulanzwagen half. Máire sah die Feuerwehrmänner einen Toten oder Verletzten mit der Bahre hinaustragen. Sie konnte nicht sehen, um wen es sich handelte, denn der Kopf war zur Seite gedreht. Nun wurde die Bahre zum Leichenwagen getragen. Máires Magen zog sich zusammen, und ihr Herz pochte. Plötzlich merkte sie, dass sie weinte.
    In dem Augenblick kam Bondurant zurück, legte den Arm um sie und drückte sie kurz an sich.
    Sie blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten. Wie immer. »Wird C.J. da gerade rausgebracht?«, fragte sie leise und war sich nicht sicher, ob er sie gehört hatte. Der warme schwarze Regen prallte wie Peitschenhiebe auf die Erde.
    »Das weiß ich nicht«, gab er ruhig zurück.
    »Können Sie das nicht rausfinden?« Sie konnte zwar ihre Trauer zurückhalten, aber in ihrer Stimme lag ein flehender Unterton.
    Er musterte sie kurz. »In Ordnung«, sagte er und eilte über den Rasenplatz Richtung Sanitäter, die gerade die Bahre in den Leichenwagen schoben. Máire sah ihm nach, wie er tropfnass und zitternd durch den flutartigen Wolkenbruch lief.
    »Nein, das war sie nicht«, erklärte er. »Er war’s. LeBelle.«
    »Und wenn C.J. noch da drinnen ist?«, fragte Máire ungeduldig
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