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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5
Autoren: Kurt Vonnegut
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werden es nicht so schreiben, nicht wahr! « Das war keine Frage. Es war eine Anklage.
    »Ich — ich weiß nicht « , sagte ich.
    »Nun, aber ich weiß es « , sagte sie. »Ihr werdet vorgeben, Männer statt Kinder gewesen zu sein, und eure Rolle wird in den Filmen von Frank Sinatra und John Wayne oder sonst einem anderen dieser bezaubernden, kriegsbegeisterten, dreckigen alten Männer gespielt werden. Und der Krieg wird einfach wundervoll aussehen, so daß wir eine Menge anderer Kriege haben werden. Und sie werden von Kindern wie unsere Kinder oben ausgefochten werden. «
    Da verstand ich. Es war der Krieg, der sie so zornig machte. Sie wollte nicht ihre Kinder oder jemandes anderen Kinder im Krieg getötet sehen. Und sie glaubte, Kriege würden teilweise durch Bücher und Filme ermutigt.
    Also hob ich meine rechte Hand hoch und machte ihr ein Versprechen. »Mary « , sagte ich, »ich glaube nicht, daß dieses mein Buch jemals vollendet wird.
    Ich muß inzwischen fünftausend Seiten geschrieben und sie alle weggeworfen haben. Wenn ich es jedoch jemals fertig schreibe, gebe ich Ihnen mein Ehrenwort: Es wird keine Rolle für Frank Sinatra oder John Wayne enthalten ... Ich sage Ihnen etwas « , setzte ich hinzu. »Ich werde es ›Der Kinderkreuzzug‹ nennen. «
    Danach wurden wir Freunde.
    O'Hare und ich gaben es auf, uns zu erinnern, gingen ins Wohnzimmmer und unterhielten uns über andere Dinge. Wir wurden neugierig auf den wirklichen Kinderkreuzzug, also schlug O'Hare darüber in einem Buch, das er hatte, nach: Ungewöhnliche volksumfassende Wahnvorstellungen und die Verrücktheit der Massen von Charles Mackay, Doktor der Rechte. Es war erstmalig in London 1841 erschienen.
    Mackay hatte eine geringe Meinung von allen Kreuzzügen. Der Kinderkreuzzug dünkte ihn nur um weniges scheußlicher als die zehn Kreuzzüge Erwachsener. O'Hare las diesen hübschen Passus laut vor:
    Die Geschichte lehrt uns in ihrer feierlichen Chronik, daß die Kreuzritter nichts anderes waren als unwissende und wilde Männer, daß ihre Motive einem blinden Fanatismus entsprangen und ihr Weg mit Blut und Tränen gezeichnet war. Die romantische Dichtung andererseits verbreitet sich über ihre Frömmigkeit und ihr Heldentum und malt in ihren glühendsten und leidenschaftlichsten Farben ihre Tugend und ihren Edelmut, die unvergängliche Ehre, die sie sich erwarben und die großen Verdienste, die sie der Christenheit leisteten.  
    Und dann las O'Hare folgendes: Was war nun das große Ergebnis aller dieser Anstrengungen? Europa verausgabte Millionen seiner Reichtümer und das Blut von zwei Millionen seiner Menschen. Und eine Handvoll streitsüchtiger Ritter hielt Palästina an die hundert Jahre im Besitz.  
    Mackay berichtete uns, daß der Kinderkreuzzug im Jahre 1213 begann, als zwei Mönche auf die Idee kamen, in Deutschland und Frankreich Heere von Kindern aufzustellen und sie in Nordafrika als Sklaven zu verkaufen. Dreißigtausend Kinder meldeten sich freiwillig, im Glauben, daß sie nach Palästina kämen. Sie waren zweifellos arbeitsscheue und verlassene Kinder, lasterhaft und wagemutig, wie sie sich gewöhnlich in Großstädten herumtreiben und zu allem bereit sind, sagte Mackay.
    Papst Innozenz III. glaubte gleichfalls, daß sie nach Palästina gingen, und war begeistert. »Diese Kinder sind wach, während wir schlafen! « sagte er.
    Die meisten Kinder wurden von Marseille verschifft, und ungefähr die Hälfte von ihnen ertrank bei Schiffbrüchen. Die andere Hälfte gelangte nach Nordafrika, wo sie als Sklaven verkauft wurden.
    Durch ein Mißverständnis meldeten sich einige Kinder in Genua zum Dienst, wo keine Sklavenschiffe warteten. Sie wurden dort durch gute Menschen freundlich verpflegt, untergebracht und ausgefragt — dann gab man ihnen ein wenig Geld und viele gute Ratschläge und schickte sie schließlich wieder heim.
    »Hurra für die guten Leute von Genua « , sagte Mary O'Hare.
    Ich schlief in dieser Nacht in einem der Kinderschlafzimmer. O'Hare hatte für mich ein Buch auf den Nachttisch gelegt. Es war Dresden, Geschichte, Theater und Gemäldegalerie von Mary Endell. Es war 1908 erschienen, und sein Vorwort begann:
    Es ist zu hoffen, daß dieses Büchlein sich nützlich erweist. Es versucht, einem englischlesenden Publikum ein Bild von Dresden aus der Vogelschau zu vermitteln, wie es kam, daß Dresden sein heutiges architektonisches Gesicht erhielt, wie es sich musikalisch durch das Genie von einigen Männern zu seiner
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